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Weihnachtliche Besinnung ohne religiösen Hintergrund?

Wie viel Religiosität darf in der Weihnachtszeit an Schulen Platz haben? Gemäss Lehrplan 21 sollte der Schulunterricht konfessions- und religionsneutral sein. Er sieht darum eigentlich keinen Raum für christliche Feierlichkeiten vor. Wie sinnvoll ist das? Wie gehen die Schulen damit um?

Bild: © Rawpixel.com/shutterstock.com

Lebkuchen, Punsch und ein feierlich geschmücktes Schulhaus mit weihnachtlicher Beleuchtung. Dazu der Gesang der Kinder, die Weihnachtslieder eingeübt haben. Denise Djelili, Mutter einer siebenjährigen Tochter sowie Vorstandsmitglied bei Schule und Elternhaus Schweiz (S&E), erinnert sich noch gut an die letzte Weihnachtsfeier in der Schule Dorf in Wettingen AG. «Es war ein sehr stimmungsvoller Anlass, der unserer Tochter gut gefallen hat.» Die Weihnachtsfeier in Wettingen wurde in Zusammenarbeit mit dem Elternrat Dorf organisiert. Für Denise Djelili darf eine traditionelle Weihnachtsfeier im Jahresprogramm der Schule nicht fehlen. «Weihnachten ist ein schönes Ritual. Mir ist es wichtig, dass unsere Tochter daran teilhaben kann.» Denise Djelili ist überzeugt, dass Rituale wie eine Weihnachtsfeier interkulturelle Kompetenzen fördern. «Durch das Feiern von Festen und das Einüben entsprechender Rituale lernen die Kinder kulturelle Vielfalt kennen und wertschätzen.» Gleichzeitig biete die Weihnachtszeit die Gelegenheit, sich wieder mehr auf das Miteinander und die Familie zu besinnen.

Ein Stück Kultur vermitteln

Weihnachtsfeiern haben an den meisten Schulen in der Schweiz Tradition. So zum Beispiel auch in Spreitenbach AG, einer multikulturellen Schule mit Kindern aus verschiedenen Nationen und Kulturen. Das vorweihnachtliche Programm ist bunt. Es reicht vom Tannenbaum über Weihnachtskrippe bis zu Geschichten-lesen, Samichlaus-Besuche, Weihnachtsbäckerei, Wichteln, Adventfenstergestalten und Kerzenziehen. Für die Weihnachtssingen werden die Lieder in der Klasse eingeübt, wie Schulleiter Stefan Wagner informiert. Die Singveranstaltungen sind ausserhalb der Schulzeit und freiwillig. Zu den Weihnachtsaktivitäten sind auch die Eltern eingeladen. «Unsere multikulturelle Elternschaft hatte am letztjährigen Chlauseinzug, bei dem unsere Kinder mitwirkten, grosse Freude und war sogar zuvor mehrheitlich an der Chlaussegnung in der Kirche anwesend», freut sich Stefan Wagner. Besondere Vorgaben, wie die Lehrpersonen in der Adventszeit mit dem Thema Weihnachten umgehen sollten, gebe es in Spreitenbach nicht. «Unsere Lehrpersonen sind sich der Situation mit den Kindern anderer Religionen bewusst. Es geht aber auch um Integration und deshalb darum, ein Stück unserer Kultur zu vermitteln. Dies passiert überall mit Augenmass und viel Gefühl für den richtigen Mix», erklärt Stefan Wagner. Die Erfahrungen mit den Weihnachtsritualen seien überwiegend positiv: «Die Eltern haben primär Freude, wenn ihre Kinder in der Schule festliche Auftritte vorführen. Die Liederauswahl erfolgt aus Rücksicht auf die verschiedenen Kulturen bewusst und sorgfältig.»

Der Weihnachtstradition nicht entziehen

Die Zeit von Advent und Weihnachten tangiert die Schule und den schulischen Unterricht auf vielfältige Weise. Die Institution Schule ihrerseits kann oder will sich der Weihnachtstraditionen offensichtlich nicht entziehen; folglich findet sich in zahlreichen Schulhäusern eine Vielzahl von direkten und indirekten Bezügen auf diese Festtraditionen: Weihnachtsdekoration, Tannenbaum, Adventskranz, Wichteln, Comic-Adventskalender, Adventsfenster, Weihnachtsfeiern usw. Auf rechtlicher Ebene ist in der Bundesverfassung festgelegt, dass in der obligatorischen Schule Glaubens- und Gewissensfreiheit herrscht. Der Lehrplan 21 ist konfessions- und religionsneutral und sieht darum – theoretisch – keinen Raum für christliche Feierlichkeiten vor. Dagmar Rösler, Präsidentin des Dachverbandes Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH), geht allerdings davon aus, dass jede Schule aufgrund ihrer Voraussetzungen am besten weiss, wie sie mit dem Thema Weihnachtstradition umzugehen hat. «Das Bewusstsein, dass heutzutage viele verschiedene Religionen in einer Klasse vertreten sind, ist da. Die Lehrerinnen und Lehrer versuchen, den Schülerinnen und Schülern mit einer angemessenen Adventszeit gerecht zu werden. Niemand soll aber gezwungen werden, eine religiöse Handlung vorzunehmen oder religiösem Unterricht zu folgen», betont die LCH-Präsidentin und zitiert den LCH-Verbandsanwalt, der sich zur Thematik wie folgt äussert: «Weihnachtslieder zu singen oder an einem Krippenspiel teilzunehmen, gilt nicht als religiöser Akt, solange dies nicht im Übermass geschieht und damit keine Bekehrung beabsichtigt wird.»

«Ausgewogen zelebrieren»

Was bedeutet dies konkret für den Schulalltag in der Advents- und Weihnachtszeit? «Ich denke, dass Schulen in der Adventszeit zeigen wollen, dass alle Religionen und Glaubensrichtungen ihre grossen und wichtigen Feste haben und dass es allen darum geht, friedlich beisammen zu sein und die Besinnung auf das Gute», sagt Dagmar Rösler. Schülerinnen und Schüler sollten die Möglichkeit haben, verschiedene Religionen kennenzulernen. «Ich würde die Regelung keinesfalls als Verbot von weihnachtlichen Feiern ansehen. Man muss sie einfach ausgewogen und mit einer Offenheit gegenüber anderen Religionen zelebrieren», präzisiert Dagmar Rösler. Das Feiern dürfe die Gefühle von Kindern und Jugendlichen mit anderen Religionen nicht verletzten. Das sei bestimmt nicht immer einfach – doch: «Meine Erfahrung ist, dass die Schulen das mit der nötigen Portion Feingefühl umsetzen.»

Ideen für religionsübergreifende Rituale

Welche Möglichkeiten gibt es, Advent und Weihnachten religionsneutral oder religionsübergreifend und trotzdem stimmungsvoll in der Schule zu feiern? Weihnachten soll ja auch ein Fest der Besinnung sein. Warum nicht das Ritual in der Stille und Achtsamkeit beginnen? – Zum Beispiel, indem man eine Kerze entzündet, eine Klangschale anstösst und einen Moment innehält. Es ist vielleicht das erste Mal im Kalenderjahr, dass die Klasse oder Schulgemeinschaft eine Minute lang still ist.

Lichtsymbolik in verschiedenen Kulturen

Ausgehend von weihnächtlichen Lichterbräuchen kann man einen Bogen zu Lichterfesten anderer Kulturen und Religionen spannen. Die Lichtsymbolik prägt unterschiedliche Kulturen und Religionen und nimmt eine zentrale Rolle in den Festen der fünf Weltreligionen ein. Damit können die Kinder die symbolische Bedeutung des Lichtes an verschiedenen Festtraditionen erleben und erkennen. Für die praktische Umsetzung im Unterricht bietet sich zum Beispiel ein Rollenspiel mit einer Geschichte an, die an einem Lichtfest erzählt wird.

Geschichten vorlesen

Seit Urzeiten war das Geschichtenerzählen ein Medium zur Weitergabe von uralten Weisheiten. Schon die Schamanen wussten um die Wirkung dieses Rituals, und auch heute ist es Tradition, Kindern Geschichten vorzulesen – zum Beispiel über das Lichtfest, das Schenken oder Sterne. Wenn Kinder aus verschiedenen Ländern zur Klasse gehören, ist es spannend, von ihnen zu hören, welche Rituale sie an wichtigen Feiertagen in ihrer Religion pflegen.

Düfte erraten

In der Advents- und Weihnachtszeit spielen auch Düfte eine wichtige Rolle. Wie wärs mit einem Weihnachtsduft-Memo? Dieses Spiel wird wie das bekannte Memory gespielt. Statt zwei identischer Bildkarten müssen die Kinder zwei zusammenpassende Duftpaare finden. Als Duftproben eignen sich beispielsweise etwas geriebene Orangenschale, frische Fichten- oder Tannennadeln, Zimt, Spekulatiuskekse oder Schokolade, abgefüllt in kleine Metalldöschen. Damit es nicht zu schwierig wird, reichen für den Anfang etwa fünf verschiedene Gerüche.

Schenken und beschenkt werden

Das «Wichteln» ist ein vorweihnachtlicher, ursprünglich nordischer christlicher Brauch, der vor allem an die Geschenktradition von Advent und Weihnachten erinnert: Schülerinnen und Schüler machen sich gegenseitig kleine Geschenke, ohne dass sie selbst wissen, von wem sie beschenkt werden; das Los entscheidet, wer wem etwas schenkt. Dieser Brauch erfreut sich an den Schulen grosser Beliebtheit; er hat zudem durch das Zufallsprinzip einen gewissen pädagogischen Wert und er wird von den Kindern eher nicht als «weihnachtlicher» Brauch verstanden, selbst wenn er darin seinen Ursprung hat.

www.schule-spreitenbach.ch
www.lch.ch
www.ethik-religionen-gemeinschaft.ch

Interview

«Religiöse Handlungen sind keineswegs nur privates Sondergut»

Wie viel christliche Religion darf an der Schule vor allem in der Advents- und Weihnachtszeit Platz haben? Im Gespräch mit Rolf Bossart, Lehrbeauftragter für Ethik – Religion – Gemeinschaft an der Pädagogischen Hochschule St. Gallen.

Was bedeutet es in der heutigen Zeit, sich als Lehrperson mit Religion und Ethik im Unterricht zu beschäftigen?

Rolf Bossart: Zunächst ist es einfach die Erfüllung des Auftrags wie er im Lehrplan durch das Fach ERG (Ethik, Religionen, Gemeinschaft) vorgesehen ist. Das ist schon viel, denn, wie wir wissen, wird vor allem der Aspekt der Religionen oft vernachlässigt im Unterricht, einerseits, weil sich die Lehrperson zuwenig sicher fühlen in der Materie und Angst haben, etwas falsch zu machen, oder sie erachten religiöse Themen weniger wichtig als anderes und streichen sie bei Zeitknappheit zuerst.

Welche Ziele verfolgt das interreligiöse Lernen?

Es erfordert die Bereitschaft von Kindern und Jugendlichen unterschiedlicher Herkunft und Bezüge, zu religiösen Traditionen aufeinander zuzugehen. Im interreligiösen Lernen ist Offenheit zu wenig, es braucht dazu aktive Neugierde und Interesse. Diese zu wecken, ist die Kunst des ERG-Unterrichts, der Glauben, aber auch Nicht-Glauben oder Gleichgültigkeit  immer wieder auf  existenzielle Fragen und Motive zurückführen muss.

Welche Folgen hat die zunehmende Säkularisierung für die Weihnachtstraditionen an Schulen?

Seit etwa den 80er-Jahren hat sich in den Schulen eine grosse Vielfalt von Weihnachtsfeiern herausgebildet. Dabei konnte man beobachten, dass obwohl die Aktivitäten in der Tendenz immer mehr ihren spezifisch christlichen Charakter verloren hatten, trotzdem fast überall eine weihnachtliche Aktivität geblieben ist. Allerdings scheinen mir solche Rituale nicht immer geglückt: Wenn etwa Kitas das Räbeliechtli durch Halloween ersetzen, der St. Nikolaus durch Santa Claus abgelöst wird oder Rorate-Gottesdienste durch Achtsamkeitsmeditationen, dann sind die Aktivitäten zwar nicht mehr christlich, aber deswegen noch nicht zwingend areligiös.

Wie viel christliche Religion darf an der Schule vor allem in der Advents- und Weihnachtszeit Platz haben?

Das kommt einerseits sehr auf die Schule und das konkrete gesellschaftliche Umfeld vor Ort an. Andererseits ist die Schule Teil unserer demokratisch-pluralistischen Gesellschaft – und in dieser sind religiöse Haltungen und Handlungen Teil des öffentlichen Lebens und Diskurses.

www.phsg.ch