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Grosselter: Ein wichtiges Geschenk für Kinder

Im Gefüge der Familie können die Grosseltern eine wichtige Rolle einnehmen. Wenn sie es richtig tun, dann profitieren alle drei Generationen, doch dazu gilt es, einige Faktoren zu beachten.

Bild: Monkey Business Images/Shutterstock.com

Was würden Sie aus Ihrem brennenden Haus unbedingt retten wollen? Bücher, Computer, die Weinsammlung?
«Unser Familienalbum» oder «Fotos von früher!». Das sind oft gehörte Antworten. Erinnerungen scheinen wichtiger zu sein als Hab und Gut. Sie sind Teil des Lebens. Das Bild der Grossmutter an der Hand im Garten oder mit Gross­vater in der Werkstatt. Bilder aus alten Tagen erinnern und verklären zugleich. Sehnsucht kann auch das Damals schöner machen, als es in der Realität war.

Und heute? Noch nie haben Enkelkinder so viel Zeit mit ihren Grosseltern verbracht wie heute. Noch nie war die Chance für Neugeborene so gross wie jetzt, die Urgrosseltern kennenlernen zu dürfen. Im Zeitalter des Wohlstands, der Zweitwohnung im Wallis, des Eigenheims und des Y­oga-Trips in Indien schauen beide Elternteile für das benötigte Geld durch Job und Karriere. Ein Zeitgeist, der eine neue Branche mit dem Kürzel KITA ermöglichte oder mehr Aufgaben für Oma und Opa bescherte.
Studien sagen aus, dass Grosseltern beim Betreuen ihrer Enkelkinder gleich mehrfach profitieren:

  • Lebenssinn
  • Glücksgefühle und Familienstolz
  • Reaktivierung der körperlichen und mentalen Energie
  • Strukturierung des Alltags nach der Pension

Im Buch «Lebensernte» von Anton A. Bucher wird von einer australischen Studie berichtet, die besagt, dass Grossmüttern mit einmal wöchentlicher Enkelkindbetreuung eine durchschnittlich bessere Leistung des Gedächtnisses und kognitive Flexibilität vorweisen als ihre Kolleginnen mit einem täglichen Enkelhütedienst

Die Balance zwischen Distanz und Nähe

Ein Dauerthema ist die Gefahr, wenn Grosseltern sich bei der Erziehung einmischen, besonders beim vielen oder gar täglichen Hüten der Enkelkinder. Hier gilt der klare Grundsatz: «Erziehung ist Elternsache.» Gegenüber dem Magazin «Fritz und Fränzi» warnt die Sozialpädagogin einer Kinderberatungsstelle in Zürich, Melitta Steiner, deutlich davor, dass Grosseltern den Enkeln etwas erlauben, was die Eltern ausdrücklich untersagen. «Den Eltern in den Rücken zu fallen, ist tabu.» Sympathiepunkte bei den Enkelkindern zu holen, ist nicht die Aufgabe der Grosseltern, sondern zu helfen, dass die Kinder eine Kon­tinuität im Familienklima und der Werte spüren. Dazu gehört, dass Richtlinien der Eltern unterstützt werden, auch wenn es mal schwerfallen sollte.

Gerade die Corona-Krise liess viele Menschen über die Qualität des Lebens als Grosseltern nachdenken. «Ich bin keine Gschänkligrossmutter», so die Therapeutin und Autorin Sofia Velin aus dem zürcherischen Wettswil. «Die Enkel werden eh von allen Seiten grosszügig bedacht. Nein, ich schenke meine Zeit und Aufmerksamkeit und natürlich auch ab und zu Materielles, aber das bleibt absolut im Rahmen. Bei mir zu Hause haben sie einen Schrank voll mit Spielsachen und Büchern. Besonders beliebt ist die selbst gemachte Sandknete, mit welcher sie für mich was «backen». Ich liebe es, zusammen mit ihnen zu sein, Hausaufgaben zu machen, Dinge zu erklären und vieles mehr. Ausserdem ist es sehr schön, weil die Kleine gerne knuddelt und auf mich zurennt, wenn ich vorbeikomme. Eine wahre Freude!»

Susanna Paly aus Lugano erinnert sich: «Die Grossmutter, die mir damals blieb, wurde zu meiner Herz-Seele-Verbindung. Sie wurde zu meinem grossen Vorbild und die Zeit mit ihr hat mir wunderschöne Erinnerungen gebracht, die immer noch sehr lebendig sind. Sie war mein Kraftort.» Wie wirkt sich das auf die heutige Grossmutter aus? «Die Kinder freuen sich immer sehr, wenn ich komme. Wir basteln, singen, erfinden Geschichten, oder ich erzähle Geschichten aus meiner Kindheit. Ich spüre eine Herzensverbindung, die mich zutiefst dankbar macht.»

Ein Team um den Forscher im Bereich Gerontologie, François Höpflinger, befragte im sogenannten «Age Report» Menschen nach ihrer Wohnzufriedenheit. Dazu gehörten nebst älteren Personen auch Jugendliche. 88 Prozent halten die Grosseltern für grosszügig, 83 Prozent erleben sie als liebevoll und 69 Prozent als tolerant. Ganz wenige sehen ihre Grosseltern als streng, altmodisch oder geizig. Besonders geschätzt werden von Oma und Opa das Zuhören, die Wertschätzung und natürlich die Familiengeschichten.

Welchen Gewinn bieten Grosseltern?

Nun, umgekehrt gefragt, was haben die Enkelkinder von der gemeinsamen Zeit mit ihren Grosseltern? Eine Menge!

Die Journalistin Ursula Willimsky veranschaulichte dies treffend in einem Beitrag für RTL wie folgt: «Unter anderem lernen sie, dass in anderen Haushalten andere Regeln gelten (‹Jetzt musst du eine Stunde ruhig sein, ich leg mich aufs Sofa.›). Sie lernen, wie man den perfekten Käsekuchen backt, wie das war, als Telefonieren noch im Minutentakt abgerechnet wurde und dass Papa, anders als er immer angedeutet hat, nicht nur beste Noten im Zeugnis hatte. Ausserdem lernen sie so, wie man sich verhält, wenn jemand sich in einem anderen Tempo durchs Leben bewegt, als das zu Hause üblich ist. Eine prima Übung in Sachen Rücksichtnahme.»

Das Leben, der Kontakt mit den Grosseltern, lehrt die Kinder, dass es ein Alter gibt, eine Endlichkeit des Lebens. Mit den Grosseltern wird eine Brücke geschlagen zwischen Jugend und Agilität und Gemütlichkeit und Drosselung des Alltags. Die Kinder realisieren im Unbewussten ohne didaktisch definierte Konzepte, dass es alte Menschen gibt, die nicht mehr so lange diesen Planeten mitgestalten wie sie und ihre Eltern. Mit anderen Worten, sie erfahren den Lauf des Lebens am Beispiel ihrer Familie. Grosseltern führen die Enkelkinder in die Thematik des Sterbens ein. Kinder erleben zum ersten Mal den Tod – hoffentlich in der Regel – durch das Ableben ihrer Grosseltern. Das lässt sie reifen in ihrem Erwachsenwerden, ohne es so artikuliert zu bekommen. Die Wechselbeziehung zwischen Grosseltern und Enkelkindern gehört zum Reifeprozess fürs Leben, der vielleicht oft unterschätzt wird.

Neue Herausforderung für alle drei Generationen

Die Corona-Krise verursachte zwischen Eltern, Kindern und den Grosseltern abrupte physische und kommunikative Trennung. Vielen wurde hiermit schmerzlich aufgezeigt, wie selbstverständlich das Leben und die Zeit mit Grossmutter und Grossvater war. Gerade dann, als die Kinder zu Hause bleiben und die Eltern auf Homeoffice umstellen mussten, wären sie so wichtig gewesen; die Geduld und Zeit der Grosseltern. Stattdessen war jeglicher Kontakt unmöglich geworden, es blieb der digitale. Und das machte erfinderisch.

Der Verein Enkelschule in Zürich präsentiert ein digitales Konzept, das eine Erleichterung der elterlichen Überlastung bieten soll. Man wolle «die Grosseltern und Enkel zusammenführen, indem sie im virtuellen Begegnungsraum gemeinsam für die Schule arbeiten, aber auch zusammen spielen». Der ehemalige Lehrer der kantonalen Maturitätsschule für Erwachsene in Zürich und Mitinitiant dieser Plattform erklärt gegenüber den Medien: «Die gegenwär­tige Situation macht deutlich, wie wichtig es ist, dass auch die ältere Generation Verantwortung übernimmt und einen Beitrag leistet, der unentbehrlich ist.» Die neuen Chancen in der Beziehung zwischen Enkelkinder und ihren Grosseltern könnten eine Win-win-Situation ermöglichen durch den Austausch von Lebenswissen und dem jugend­lichen Know-how aus der Welt der Computertechnik.

Der 75-jährige Philosoph Ludwig Hasler weist in einem Interview mit der Coopzeitung auf eine neue Besonderheit in der heutigen Zeit hin. Enkel werden älter und erwachsen, während ihre Grosseltern noch leben. Das bedeutet, dass Knuddeln und Spielen durch Austausch unter Erwachsenen ersetzt werden. Sie brauchen «interessante Gesprächspartner», so Hasler, und das ginge nur, wenn sich Pensionärinnen und Pensionäre «noch um andere Dinge kümmern». Die von der Grossmutter aus Lugano erwähnte «Herzensbindung» gilt es auch mitzunehmen, wenn die Enkelkinder zu selbstständigen Mitgestaltern unserer Gesellschaft geworden sind

Weiterführende Informationen:

  • «Lebensernte – Psychologie der Grosselternschaft» von Anton A. Bucher, Springer Verlag, 978-3-662-57987-9, 2019.
    «Wohnen im höheren Lebensalter – Grundlagen und regionale Unterschiede» von François Höpflinger, Valérie Hugentobler, Dario Spini, Seismo Verlag, 978-3-03777-199-0, 2019
  • «Für ein Alter, das noch was vorhat – Mitwirken an der Zukunft» von Ludwig Hasler, Rüffer & Rub Verlag, 978-3-906304-53-3, 2019
  • Seniorweb.de – Die Website für Seniorinnen und Senioren sowie für die Generation 50plus mit Sitz in Zürich
  • «Grosseltern – Das Magazin über das Leben mit Enkelkindern», 3G Media GmbH, Kronengasse 4, 5400 Baden, www.grosseltern-magazin.ch

Schule und Elternhaus Schweiz (S&E) – Eltern eine Stimme geben

Die Anliegen der Eltern vertreten
Als Elternorganisation der deutschsprachigen Schweiz vertritt Schule und Elternhaus Schweiz (S&E) auf nationaler Ebene die Anliegen der Eltern zu Themen rund um die Schule – und dies seit über 60 Jahren. S&E Schweiz fördert zusammen mit den kantonalen, regionalen und lokalen Sektionen die partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen Schule, Behörden und Eltern. S&E ist Patronatgeber des Berufswahl-Portfolios.