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Kinder und Medien: Ein kleiner Kompass durch den Dschungel

Es liegt in der Natur der Sache: Sobald man eine Übersicht über die digitalen Medien und ihre Chancen und Gefahren für Kinder geschaffen hat, lauert schon das nächste Angebot hinter der Mauer. Dennoch: Es gibt Grundsätze, die ganz allgemein ihre Gültigkeit bewahren. Eine kleine Übersicht.

Bild: © Israel Sebastian/shutterstock.com

Wie soll man umgehen mit einer Technologie, von der nicht selten die Kinder bereits mehr Ahnung haben als die Erziehungsberechtigten selbst? Wie kann man Grenzen setzen, wenn man selbst knapp Bescheid weiss, um was es geht? Die Digitalisierung ist eine neue Herausforderung. Denn frühere Generationen hatten es bei der Kindererziehung meist mit Dingen zu tun, die sie aus ihrer eigenen Vergangenheit kannten: die erste Verliebtheit, der erste Alkohol, die erste Zigarette. Nicht so, wenn es um das Smartphone oder Videogames geht – da sind uns die «Kleinen» voraus.

Basierend auf den Tipps der Experten von «schau-hin.info» hier ist der Versuch, zumindest die Grundsätze zu klären, die Pfeiler bei der täglichen Erziehungsarbeit in einer fremden Welt sein können.

Gross genug für die Medienwelt?

Man mag noch so sehr den Finger draufhalten: Es lässt sich kaum vermeiden, dass die eigenen Kinder in Berührung kommen mit digitalen Medien. In der Schule, bei Kollegen, im Verein oder auch über ältere Geschwister oder ganz banal via Vater oder Mutter: Irgendwo wartet die grosse Welt in Form von Smartphones oder Tablets immer. Auch wenn das Fernsehen gerade bei Kleinkindern Anziehungspunkt Nummer 1 bleibt: Die tragbaren Geräte holen zügig auf. Die Leitfrage für Eltern muss sein: Können meine Kinder das, was sie hier sehen, überhaupt verstehen? Oder sind sie davon überfordert?

«schau-hin.info», eine Initiative, die bei der Medienerziehung helfen will, versucht mit einer Einteilung in Lebensjahre eine grobe Anleitung zu geben:

1. Jünger als ein Jahr

In den ersten Wochen nehmen Babys Medien lediglich als Reizquelle wahr, die Geräusche und Lichteffekte aussendet. Sie können noch nicht bewusst auf diese Eindrücke reagieren, aber sie können schon ihre Reizüberflutung ausdrücken – und schreien oder schlafen plötzlich ein. Am Ende des ersten Lebenshalbjahres beobachten Kinder vor allem, wie andere Menschen mit Medien umgehen und versuchen, sie nachzuahmen: nach dem Mobiltelefon greifen oder Geräusche nachmachen. Geht es auf den ersten Geburtstag zu, wächst das Interesse für Medien: Sie werden als Spielzeug genutzt, jedoch eher zufällig und nicht zielgerichtet. Beim Spielen auf dem elterlichen Smartphone oder Tablet ahmen Kinder die Wischbewegung der Eltern nach, statt zielgerichtet zu wischen. In diesem Alter haben Kinder noch kein Verständnis für die Bildhaftigkeit der Inhalte und versuchen zum Beispiel Gegenstände aus dem Bildschirm herauszuholen. Ein eigenständiger Umgang mit Medien ist noch nicht möglich, da grundlegende motorische und mentale Fertigkeiten noch fehlen. Erst mit etwa einem Jahr verstehen Kinder, dass das Bild selbst ein Gegenstand ist und etwas zeigt.

2. Ein bis zwei Jahre alt

Haben Kinder ein Verständnis für Bildhaftigkeit entwickelt, können sie digitale Inhalte von realen Gegenständen unterscheiden. Jetzt können sie bald einfache Bildgeschichten mit Nähe zum kindlichen Alltag verstehen. Auch einfache Bewegungsabläufe wie das Wischen und Tippen funktionieren gut. Sie sind aber nicht als zielgerichtete Nutzung von mobilen Medien zu verstehen. Mit dem steigenden Interesse an anderen Menschen, der Entwicklung der Fantasie und der Sprache verändert sich die Bedeutung von Medien für Kinder im zweiten Lebensjahr. Sie wenden sich bewusster und zielgerichteter medialen Inhalten und Geräten zu. Ausserdem zeigen sie sich interessiert an spielerischen und kreativen Aktivitäten wie zum Beispiel dem Fotografieren. In diesem Alter machen Kinder meist verstärkt Fernseherfahrungen, auch können sie erste mediale Botschaften entschlüsseln. Zweijährige verstehen einfache digitale Spiele und entdecken die Wiedergabefunktion für Fotos oder Videos auf mobilen Medien. Ihre Aufmerksamkeitsspanne reicht schon für kurze und einfache Sequenzen. Trotzdem ist es für Kinder unter drei Jahren wichtiger, erst einmal die reale Welt mit allen Sinnen zu erfahren, bevor sie elektronische Medien entdecken.

3. Drei bis vier Jahre alt

Nach dem dritten Geburtstag können Kinder Medien gezielter nutzen – in Begleitung ihrer Eltern und in überschaubarem Mass. Dabei sind Tablets leichter und intuitiver selbst zu bedienen als Laptops und Computer. Diese sind erst ab dem Vorschulalter geeignet. Mit fortschreitendem Alter wächst die Fähigkeit der Kinder, Symbolsysteme medialer Inhalte zu entschlüsseln. Voraussetzung dafür bleibt weiterhin eine einfache Erzählstruktur und der Bezug zu ihrer Lebenswelt. Kinder können in Videos oder Filmen Ausschnitte und Figuren wahrnehmen und in Bezug zum eigenen Ich setzen. Tipp- und Wischbewegungen auf dem elterlichen Tablet oder Smartphone werden gezielt eingesetzt. Neben der Rezeption gewinnen Medien als Mittel für gestalterisch-produktives Handeln an Bedeutung. Die erworbenen Fähigkeiten im Umgang mit Medien können mit und über Medien erweitert werden. Eltern können ihre Kinder geduldig begleiten, ihre Fragen beantworten und immer wieder das Verständnis für das Gesehene zu erweitern. Dabei helfen Wiederholungen, um das Verständnis von Inhalten und Abläufen zu festigen.

4. Fünf bis sechs Jahre alt

Medien dienen Kindern in diesem Alter als Wissensquelle, zur Orientierung, Unterhaltung und als Spielgeräte. Erste kindgerechte Onlineangebote gewinnen an Bedeutung. Sie nehmen das Internet als Speicher für Filme, Spiele und Musik wahr. Kinder verstehen nun einfache Lern- und Geschicklichkeitsspiele mit zweidimensionaler Grafik. Bei audiovisuellen Geschichten konzentrieren sie sich auf zentrale Personen und vollziehen auch zunehmend deren Gefühle nach. Da die Lese- und Schreibfähigkeiten noch nicht entwickelt sind, brauchen die Kinder die Unterstützung von Eltern, Erziehern und Lehrern.

Und wie es weitergeht

Auch wenn man diese Grundsätze verfolgt, taucht bald eine neue Frage auf: Wie viel von dem, was man für geeignet hält, ist gut für die Kinder? Wenn diese eine neue Welt entdecken, ist es für sie schwierig abzuschätzen, welche Konsummenge die richtige ist. Da sind die Eltern gefragt. Zur Medienkompetenz gehört es auch, zu erkennen, wann es Zeit ist für eine Pause vom Game oder Film. Und wer klare Regeln setzt, umgeht auch die selten sinnvollen Verbote. Denn Regeln bieten die Möglichkeit, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und eigene Erfahrungen zu machen – statt nur auferlegten Verboten zu folgen.
Die Angst, die eigenen Kinder könnten eine Sucht entwickeln, ist unter Eltern weit verbreitet und wohl auch nicht völlig unbegründet. Auch hier hilft «schau-hin.info» mit praxisnahen Tipps weiter.

1. Feste Bildschirmzeiten geben

Orientierung

Bei jüngeren Kindern bis zehn Jahre sollten Eltern darauf achten, dass ein tägliches Mass bei der Bildschirmnutzung nicht überschritten wird. Es ist wichtig, dass den Heranwachsenden genügend Zeit für analoge Erfahrungen bleibt. Die Nutzung digitaler Medien für die Schule ist bei den Bildschirmzeiten nicht anzurechnen. «Schau hin» empfiehlt folgende Richtwerte zur Orientierung:

  • bis fünf Jahre: bis eine halbe Stunde Bildschirmzeit am Tag,
  • sechs bis neun Jahre: bis zu einer Stunde Bildschirmzeit am Tag.
  • Bei älteren Kindern ab zehn Jahre empfiehlt es sich, ein wöchentliches Zeitkontingent zu vereinbaren. Kinder können so ihre eigenen Erfahrungen machen: Wird die vereinbarte Zeit an nur zwei Tagen verbraucht, bleiben die Bildschirme für den Rest der Woche dunkel. So lernen Kinder, sich ihre Ressourcen vorausschauend einzuteilen und ein gesundes Mass zu finden.
  • Eine Orientierung bietet folgende Faustregel:
    zehn Minuten Medienzeit pro Lebensjahr am Tag oder eine Stunde pro Lebensjahr in der Woche.

2. Nutzungszeiten müssen eingehalten werden

Wichtig ist, dass die aufgestellten Regeln eingehalten werden. Dabei helfen Klassiker wie die Eieruhr neben dem Bildschirm oder auch verbindlich festgehaltene Absprachen etwa in einer Art Mediennutzungsvertrag zwischen Eltern und Kindern. Möglich ist auch, Zeitbegrenzungen im Betriebssystem, durch externe Jugendschutzsoftware, bei Spielkonsolen und in der Spielsoftware selbst einzustellen. Solche technischen Hilfsmittel sollten jedoch nur zu Beginn oder über kurze Zeiträume zum Einsatz kommen. Nachhaltiger ist es, wenn Kinder lernen, sich an Absprachen zu halten. Jüngeren Kindern können technische Zeitbegrenzungen helfen, ein Gefühl für die vergangene Zeit zu entwickeln. Je älter sie werden, desto wichtiger sind jedoch Freiheiten und Selbstständigkeit. Es zahlt sich daher aus, vor Beginn der Pubertät einen bewussten Umgang mit Bildschirmzeiten zu etablieren.

3. Routinen helfen im Alltag

Eltern sollten auch Benimmregeln für die Nutzung von mobilen Geräten festlegen: Im Schulunterricht und bei den Hausaufgaben muss das Smartphone weggepackt werden, beim gemeinsamen Essen hat es nichts zu suchen und auch nicht auf dem Tisch zu liegen. Ein bis zwei Stunden vor dem Schlafengehen hat das Smartphone Sendepause. Das sind Beispiele für Routinen, die den Alltag mit Medien strukturieren. Gute Erfahrungen machen auch Eltern, die handyfreie Tage einführen – an die hält sich dann die ganze Familie. Auch bei Konsolen- und PC-Zeiten helfen feste Routinen: Zum Beispiel wird erst nach den Hausaufgaben und nur bis zum Abendessen gespielt. Danach ist Zeit für andere Interessen oder die Familie. Eltern kennen die Gewohnheiten ihrer Kinder am besten und können entscheiden, welche Vereinbarungen gut in den Alltag passen.

4. Auf Anzeichen achten

Eltern, die wissen, was genau ihre Kinder mit digitalen Medien machen, welche Seiten sie mögen oder welche Spiele sie spielen, können frühzeitig über Risiken und Möglichkeiten der Nutzung aufklären. Wenn neue Spiele oder Apps gemeinsam ausprobiert und angesagte Youtuber und Youtuberinnen und Serien auch mal von der ganzen Familie geguckt werden, können sie auch kritisch eingeschätzt und hinterfragt werden. Nicht nur wie lang Kinder Bildschirmmedien nutzen ist bedeutsam, sondern auch warum: Langeweile vertreiben, Kontakt mit Freunden halten oder über Aktuelles im Bilde sein? Hinweise darauf, dass die Bildschirmmedien überhandnehmen, sind die Vernachlässigung von Schulpflichten, der Rückzug von anderen Aktivitäten und Interessen oder aus Freundschaften sowie starke Launenhaftigkeit oder Gereiztheit.

5. Vorbild sein

Mit ihrer eigenen Mediennutzung können Eltern ein gutes Vorbild für ihre Kinder sein. Dabei hilft, sich auch einmal selbst kritisch zu fragen, wie oft welche Bildschirmmedien wozu genutzt werden. Kein Mensch muss immer erreichbar sein, das können Eltern ihren Kindern vermitteln. Auch ein gemeinsamer medienfreier Tag in der Woche oder ein gemeinsames Medienfasten können helfen, andere Interessen als Familie nicht aus den Augen zu verlieren.

6. Abwechslung bieten und bestärken

Es ist wichtig, dass Kinder unterschiedliche Möglichkeiten der Freizeitgestaltung kennenlernen und digitale Medien nicht wahllos einsetzen. Kinder wachsen mit Bildschirmmedien auf, doch ihr Bewusstsein für dieses Thema muss noch geschärft werden. Das geschieht auch über Alternativen im realen Leben und viele Gelegenheiten, ein gesundes Selbstwertgefühl zu entwickeln und Schwierigkeiten meistern, aber Langeweile auch einmal aushalten zu können.

7. Professionelle Hilfe suchen

Wenn Schule, Freunde, Sportverein, andere Hobbys oder Pflichten über mehrere Monate wegen digitaler, medialer Angebote vernachlässigt werden und die Kinder trotz negativer Konsequenzen nicht Abstand nehmen können, kann professionelle Hilfe nötig werden, beispielsweise bei einer Sucht- oder Erziehungsberatungsstelle in ihrer Nähe.