Jedes Kind hat das Recht, vor Gewalt geschützt zu werden. So steht es in Artikel 19 der UN-Konvention über die Rechte des Kindes. Trotzdem: Auch in der Schweiz erleben viele Kinder regelmässig körperliche und psychische Gewalt. Das darf nicht sein!
Gewalt ist keine Lösung
Die meisten Eltern verzichten bewusst auf eine Erziehung mit Angst und Härte. Auch Gehorsamkeit und Untertanengeist sind glücklicherweise heute keine Erziehungsziele mehr. Und auch die Zeiten, als Kinder Befehlsempfänger waren, sind grösstenteils vorbei. Heute sind die meisten Kinder nicht mehr daran gewöhnt, einfach nur zu gehorchen, weil es gerade verlangt ist. Sie möchten wissen, warum sie etwas tun sollen. Zudem wagen es viele, sich zu widersetzen. Das bringt ihre Eltern und nicht zuletzt auch Lehrpersonen in Rechtfertigungs-, Erklärungs- und Erziehungsnot. Insbesondere wenn die Kinder den Aufstand proben, kann das für Eltern nicht nur herausfordernd sein, sondern sie auch an ihre eigenen Grenzen bringen. Laut aktuellen Zahlen aus einer Elternbefragung zum Bestrafungsverhalten der Universität Freiburg, im Auftrag von Kinderschutz Schweiz, erfahren rund die Hälfte aller Kinder zu Hause Gewalt in der einen oder anderen Form. Die Resultate zeigen zudem, dass in jeder Schulklasse durchschnittlich ein bis zwei Kinder sitzen, welche zu Hause regelmässig körperliche Gewalt erleben. Noch mehr betroffen sind Kinder jedoch von psychischer Gewalt, die keine blauen Flecken hinterlässt. Die Umfrage zeigt, dass die Gewalt an Kindern in den letzten Jahren wieder zugenommen hat: Jedes siebte Kind erlebt regelmäs-sig körperliche Gewalt und rund jedes fünfte Kind ist regelmässig von psychischer Gewalt betroffen. Fast jedes fünfte Kind wird von den Eltern mit Schlägen auf den Hintern bestraft. Jedes siebte Kind wird von den Eltern gestossen. Jedes zehnte Kind wird an den Haaren gezogen oder geohrfeigt. Rund ein Drittel der Eltern tun ihren Kindern mit Worten weh oder beschimpfen sie heftig. Jedem vierten Kind wird mit Schlägen gedroht und jedem fünften Kind wird gedroht, es alleine zu lassen.
Gewalt hat in der Erziehung keinen Platz
«Jedes Kind hat das Recht auf einen umfassenden Schutz vor allen Formen von Gewalt», sagt Regula Bernhard Hug, Direktorin von Kinderschutz Schweiz. «Gewalt in der Erziehung hat negative Folgen für betroffene Kinder. Studien zeigen, dass psychische und körperliche Gewalt das Risiko für psychische Probleme erhöhen, den Konsum von Suchtmitteln fördert wie auch der Ursprung für geringeres Selbstvertrauen und aggressives Verhalten sein kann. Erfahren Kinder zu Hause Gewalt, erschüttert dies das Vertrauen und die Beziehung zu den Eltern.» Bisher war die gewaltfreie Erziehung nicht gesetzlich verankert. Mit dem Entscheid des Ständerates an der letzten Herbstsession hat sich das geändert. Ab 2026 werden u. a. Ohrfeigen, Schläge oder heftiges Beschimpfen keine Erziehungsmassnahmen mehr sein, sondern Gewalt gegenüber Kindern. Mit dieser Verankerung hat Kinderschutz Schweiz ein grosses Ziel erreicht. «Eine riesige Lücke im Kindesschutz kann so endlich geschlossen werden», meint Regula Bernhard Hug. «Seit über 40 Jahren war das unser Ziel. Das es jetzt geschafft ist, freut uns sehr für die Kinder in der Schweiz. Die Prävention bleibt weiterhin wichtig und dort werden wir dran bleiben!» Bisher führte die Rechtslage zu einer Rechtsunsicherheit und schliesslich dazu, dass Kinder zu Hause regelmässig körperliche und psychische Gewalt erleben müssen. «Erziehung ist zwar Privatsache – Gewalt an Kindern jedoch nicht», ist Regula Bernhard Hug überzeugt. «In den letzten 40 Jahren setzten wir dafür ein, dass die gewaltfreie Erziehung im Zivilgesetzbuch (ZBG) verankert wird. An der Herbstsession vor ein paar Wochen hat sich nun auch der Ständerat dafür ausgesprochen. Dass die Verankerung endlich Tatsache wird, ist ein grandioser Erfolg für die Kinder in der Schweiz.»
Miteinander reden – und einander zuhören
«Kinder brauchen erwachsene Bezugspersonen, die mit ihnen in Beziehung stehen und ihre Persönlichkeit respektieren», sagt Regula Bernhard Hug. «Es ist wichtig, Kinder respektvoll unter Anerkennung von ihren Rechten, Bedürfnissen und der kindlichen Persönlichkeit zu leiten und zu begleiten. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf den Themen «Miteinander reden» und «Einander zuhören.» Obwohl den meisten Eltern und Erziehungsberechtigten dies im Allgemeinen klar und bewusst ist, fehlt im hektischen Familienalltag in konkreten Situationen manchmal die Gelassenheit, um besonnen und in angemessener Weise auf Kinder zu reagieren. Regula Bernhard Hug rät deshalb Eltern zu einer vertieften Auseinandersetzung mit den eigenen Erziehungsvorstellungen und den damit verbundenen Erwartungen an die Kinder: «Atmen Sie durch, zählen Sie bis zehn – und suchen sie in ruhigen Zeiten nach Handlungsalternativen, auf die sie auch in hitzigen Momenten zurückgreifen können.» Falls es Ihnen einmal nicht gelingt und Gewalt passiert, entschuldigen Sie sich beim Kind und erklären ihm, weshalb die Situation eskaliert ist.
Ideen für starke Eltern finden interessierte Eltern in den Videos der Präventionskampagne «Es gibt immer eine Alternative zur Gewalt!» über kinderschutz.ch/starkeideen sowie über kinderschutz.ch/handlungsalternativen. Hier gibt es zahlreiche gute Tipps und Ratschläge, was Eltern machen können, bevor ihnen alles über den Kopf wächst.
Der Erziehungsalltag verläuft oft nicht optimal und kann in Streit und Aggressionen enden. Erwachsene sind danach häufig frustriert und fühlen sich von der Erziehungsaufgabe überfordert. Die Kinder auf der anderen Seite haben das Gefühl, missverstanden und alleingelassen zu werden. Der Elternkurs «Starke Eltern – starke Kinder» und die Angebote aus dem Programm unterstützen Erziehende dabei, solchen Situationen öfter vorzubeugen und sie konstruktiv und gewaltfrei zu lösen. Die Angebote verbessern die Beziehung zu den Kindern, was zu einem gelasseneren Familienalltag beiträgt.
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Das Plüschmönsterli zeigt die Gefühle des Kindes, wenn es die Worte nicht mehr findet.