Wie können Eltern ihre Kinder auf die digitale Welt vorbereiten und worauf kommt es da überhaupt an? Sollte man Gefahren und Risiken in den Fokus setzen oder die sinnvolle Mediennutzung fördern? Vielleicht geht es auch darum, dass Kinder lernen, die digitalen Reize selbst zu kontrollieren? Oder doch ein bisschen von allem?
Wenn Kinder die digitalen Reize selbst kontrollieren können
Medienkompetenz bedeutet nicht nur sich in der digitalen Welt zurechtzufinden, sondern auch die digitalen Reize und deren Anziehung zu kontrollieren. Wenn Eltern Medienkompetenz fördern, können sie damit ihrem Kind helfen, die digitalen Geräte von sich aus zu kontrollieren. Wie schaffen es Eltern, ihr Kind in den wichtigsten Aspekten der Medienkompetenz effektiv zu fördern?
Ohne Medienkompetenz kann es schnell heikel werden …
Ich habe diesen Sommer wieder mein Ferienlager für Kinder mit ADHS durchgeführt und dort kam es zu einer heiklen Situation. Wir waren in einem alten Lagerhaus mit hölzernen Wänden und grossen Schlägen mit Kajütenbetten. An den Zimmerwänden und an den Betten waren so manch spannende Sachen von irgendwelchen Leuten hingekritzelt worden. In der Regel ist dies nicht weiter bedenklich und bietet einige Lacher – aber nicht dieses Mal!
Nach dem Lager durfte ich das Lagerhaus dem Verwalter wieder übergeben. Dabei hat er mich etwas skeptisch gefragt, ob ich eine Frau Meier* kenne. Als ich verneinte, meinte er, dass eine sehr verärgerte Frau Meier bei ihm angerufen und sich beklagt hätte, dass immer mal wieder unbekannte Personen bei ihr anriefen. Dieses Mal hätten sie gesagt, dass sie von unserem Lagerhaus aus anrufen würden. Der Verwalter hat mich gefragt, ob ich dazu etwas wüsste.
Ich sagte ihm, dass ich eine Vorahnung hätte, und wir haben uns die jugendlichen Wandmalereien in den Massenschlägen zu Gemüte gezogen und wurden tatsächlich fündig: Mehrere Telefonnummern waren dort aufzufinden. Da haben sich wohl einige Schüler (nicht von unserem Lager) einen Streich erlaubt und Telefonnummern, vermutlich von ihren Lehrpersonen, einfach mal auf die Wand notiert.
Ein so kleiner Scherz hätte somit viele Konsequenzen haben und durchaus auch juristische Folgen nach sich ziehen können. Die Frage ist hier: Hätten diese Kinder nicht wissen sollen, dass die Veröffentlichung solcher persönlicher Daten heikel ist? Ist doch gleich, wie wenn man so etwas online posten würde. Hätte man mit der nötigen Medienkompetenz diese Situation verhindern können?
Was heisst eigentlich Medienkompetenz und was sollten Eltern diesbezüglich beachten?
In der allgemein gängigen Definition wird die Medienkompetenz in mehrere Kompetenzbereiche aufgeteilt. In diesen Kompetenzbereichen geht es z. B. darum, dass man digitale Geräte überhaupt bedienen kann, weiss, wie diese funktionieren, aber auch die Inhalte richtig einschätzen kann und sozial damit interagieren lernt. Einen Teil dieser Kompetenzbereiche bekommen die Kinder oftmals in der Schule mit. Es gibt aber auch mehrere wichtige Punkte, bei denen die Kinder auf ihre Eltern angewiesen sind.
Schliesslich geht es hier um drei wesentliche Bereiche:
- Sensibilisierung vor Einflüssen und Auswirkungen: Kinder sollten in der Lage sein, digitale Reize selbst zu kontrollieren. Sie sollten sich bewusst sein, wie digitale Medien versuchen, uns zu beeinflussen und auch zu manipulieren, und sich z. B. in Bezug auf Fake News auskennen.
- Schutz vor Risiken: Genau so wie in der realen Welt gibt es auch in der digitalen Welt Gefahren, vor denen Kinder gewarnt werden sollten. Kinder sollten wissen, wie sie solche Risiken erkennen und Gefahren vermeiden können, z. B. keine privaten Informationen wie die Telefonnummer von irgendwelchen Leuten an eine Lagerhaus-Wand schreiben.
- Förderung eines kreativ-gestalterischen Umgangs mit sinnvollen Inhalten: Kinder sollten die digitalen Medien nicht nur zur Unterhaltung verwenden, sondern auch gestalterisch damit umgehen können. Dazu gibt es etliche Inhalte, Themenbereiche und Formen. Diese Inhalte können aber auch die Übergänge nach der Medienzeit erleichtern.
Wie erleichtere ich meinem Kind den Übergang nach der Medienzeit und damit den Umgang mit der Anziehung der digitalen Reize?
Kinder sind rein von ihrer Gehirnentwicklung her noch nicht in der Lage, die digitale Berieselung von Reizen zu beenden respektive die daraus entstehenden Glücksgefühle aufzuschieben. Deshalb sind sie oft überfordert mit der Beendigung der Bildschirmzeit. Als ob dies nicht genug wäre, werden gerade Kinder von diversen Inhalten gerade so mit Glücksreizen überschüttet, was ihnen das Aufhören und den Übergang in eine andere, analoge Aktivität massiv erschwert.
Aus diesem Grund macht es Sinn, am Ende der Medienzeit des Kindes eine eher ruhige digitale Aktivität zu wählen, die nicht mit schnellen Spielverläufen, Handlungsdruck oder Überreizung daherkommt. Hier eignen sich kreativ-gestalterische Inhalte besonders, weil man damit gleichzeitig die Medienkompetenz des Kindes fördern kann. Konkrete Beispiele habe ich weiter unten in diesem Artikel notiert.
Welche Gefahren und Risiken sollte mein Kind kennen?
Hier könnte man eine endlose Liste aufstellen. Vieles hängt allerdings von den individuellen Inhalten ab, die das eigene Kind interessieren. Allerdings gibt es einige allgemeine Risiken: So sind leider viele Kinder von Cybermobbing betroffen und dabei sind besonders die stummen Mitleser und Zuschauer ein Problem. In Gamechats oder auf Social Media werden Kinder viel häufiger von Pädophilen angesprochen als erwartet – das sogenannte Cybergrooming. Dabei wird Vertrauen aufgebaut, um an gewisse Informationen oder Bilder heranzukommen. Oder es wird mit Druckausübung und Angst versucht, diese Inhalte zu erlangen.
ACHTUNG: Es gibt viele digitale Trends und Inhalte, die die Kinder mitbekommen, auch wenn sie auf den entsprechenden Plattformen gar nicht aktiv sind. Ganz typisch sind hier verschiedene Challenges (Mutproben, die aufgenommen und auf Social Media geteilt werden) oder auch irritierende Inhalte wie Gewaltvideos oder Schockbilder von Kriegsgebieten.
Nebst solchen Risiken sollten Kinder ebenfalls auf die Beeinflussung und Auswirkungen der digitalen Medien sensibilisiert werden. Es dürfen gemeinsam Fragen diskutiert werden, wie: Warum sind wir oft frustriert, wenn wir die digitale Medienzeit beenden? Weshalb werden uns immer wieder scheinbar einmalige Angebote gemacht, wie tägliche Quests, Skins etc.? Warum trinkt der Youtuber immer zufällig dasselbe Getränk? Ist es wahr, dass jedes dritte Reel einen Wow-Effekt hat? Hier gilt es, das Kind nicht mit Vorurteilen oder Belehrungen zu torpedieren oder diese Risiken gar als Argument für die Verurteilung der digitalen Inhalte des Kindes zu nutzen, sondern interessiert und mit der nötigen Vorsicht das digitale Ich des eigenen Kindes zu erkunden.
Welche Inhalte können sogar fördernd sein und wie kann ich mein Kind dafür begeistern?
Bei all den Risiken könnte man sich schnell dazu verleiten lassen, die digitale Welt oder zumindest die Inhalte, die das Kind konsumiert, zu verurteilen. Das würde aber der Vielfalt der digitalen Welt nicht gerecht werden und beim Kind würde man damit seine Glaubwürdigkeit verspielen und somit das Vertrauen verlieren.
Die digitale Welt bietet viele grossartige Inhalte an, die Kinder in unterschiedlichen Bereichen fördern oder einfach faszinieren und die Fantasie anregen können. So bieten Serious Games echte Spielunterhalten, aber mit kniffligen Lerninhalten. Es gibt sogar Games, welche die Konzentration und Geduld der Kinder fördern. Programmierspiele können Kindern spielend einfach das Programmieren beibringen. Oder Outdoor-Apps können die digitale Welt auf lehrreiche Art mit der realen Umgebung und Natur verknüpfen.
* Name geändert
Wäre es nicht genial, wenn es ein Online-Angebot für Kinder gäbe, welches all das den Eltern abnimmt?
Genau dazu habe ich vor Kurzem den ersten Digital-Club für Kinder im deutschsprachigen Raum gegründet. Der Digital-Club trifft sich wöchentlich für eine Stunde online auf Zoom und wird von Ben Fisch persönlich geleitet. Eingeladen sind alle Kinder von 9 bis 14 Jahren. Es werden immer wieder neue spannende Themen rund um Online-Sicherheit und Medienkompetenz behandelt. Spannende Erlebnis-Geschichten, knifflige Rätsel, coole Serious-Games, Programmierspiele, KI-Abenteuer etc. Am besten schaust du dir gleich die konkreten Beispiele auf der Homepage an: kinder-digital-club.com