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Mit Kindern über den Krieg sprechen

Über zwei Jahre lang beschäftigte uns die Coronapandemie, nun der Krieg. Für die Kinder und Jugendlichen ist die Situation eine Herausforderung. Aber auch Eltern stehen vor dem Rätsel: Wie sollen wir die Themen angehen? Darüber sprechen oder lieber die Kinder schützen? Lulzana Musliu-Shahin, Verantwortliche Öffentlichkeitsarbeit der Stiftung Pro Juventute, erklärt im Interview, wie Eltern am besten vorgehen.

Bild:©realpeople/shutterstock.com

Zuerst kam Corona, jetzt der Krieg in Europa. Wie sehr leiden Kinder und Jugendliche darunter, dass eine schwierige Situation die nächste jagt?

Kinder und Jugendliche haben noch nicht gleich gut gelernt, Bewältigungsstrategien entwickeln können. Das bedeutet, dass sie in solchen Krisen die Unterstützung des Umfelds brauchen, um das Geschehene und Gesehene einzuordnen. Wir sehen in der Beratung und der Hilfe 147 von Pro Juventute, dass viele Jugendliche Zukunftsängste haben.

Pro Juventute berät Familien, wie sie mit der Situation umgehen und mit ihren Kindern darüber reden können. Wie gross ist der Bedarf nach diesem Angebot – wie viele Eltern melden sich direkt, um sich Rat zu holen?

Seit der Eskalation des Krieges melden sich täglich viele Kinder, Jugendliche und immer wieder einmal Eltern. Der Krieg ist sehr präsent auf den sozialen Medien, wo Kinder und Jugendliche viel Zeit verbringen. Zum Beispiel auf TikTok sehen sie, wie sich ukrainische Kinder und Jugendliche in Bunker begeben oder fliehen müssen.

Gerade für jüngere Kinder ist es schwierig, die Hintergründe für einen Krieg zu begreifen. Sollten die Eltern dennoch auch mit Vorschulkindern darüber reden? Oder nur, wenn es aktiv eingefordert wird?

Bei kleineren Kindern ist es empfehlenswert, nur über den Krieg zu sprechen, wenn das Kind gezielt danach fragt. Grausame Details sollten nach Möglichkeit vermieden werden.

Bei älteren Kindern wird der Krieg natürlich in der Schule thematisiert. Wie wichtig ist es dennoch, dass auch zu Hause darüber geredet wird?

Es ist sehr wichtig, dass das Kind nicht alleine gelassen wird mit seinen Gefühlen und Gedanken. Daher sollten es Eltern unbedingt ansprechen und vielleicht Fragen stellen wie: «Wie geht es dir dabei?» oder «Woher hast du die Informationen».

Sollte es beim Gespräch bleiben oder können Eltern sonst noch etwas tun, um den Kindern die Situation zu erklären?

Viele Kinder und Jugendliche haben eine grosse Empathie und möchten gerne aktiv etwas tun. Sie können als Familie eine Kerze für die Menschen in der Ukraine anzünden, gemeinsam an Friedensdemonstrationen teilnehmen oder Geld für Kinder und Jugendliche in der Ukraine spenden. Kinder und Jugendliche können ihre Gedanken, Wünsche und Gefühle in einer Zeichnung oder einem Brief aufs Papier bringen.

Gerade in den Nachrichten sind die Bilder sehr erschreckend. Wie sollten Eltern darauf reagieren – den Sender wechseln oder die Kinder (altersentsprechend) mitschauen lassen?

Man muss sich bewusst sein, dass man sein Kind nicht komplett davor schützen kann. Wenn es vielleicht zu Hause nicht damit in Berührung kommt, dann sicher in der Schule oder bei Freizeitaktivitäten mit anderen Kindern. Daher sollte man lieber mit den Kindern altersgerechte Informationen suchen. Zum Beispiel gibt es die Kinder-News von SRF, die altersgerecht erklären, was im Krieg passiert.

Wie können Eltern von ängstlichen Kindern dabei helfen, dass die unguten Gefühle abgefangen werden?

Eltern oder Bezugsperson sollen Ruhe und Sicherheit vermitteln. Die Emotionen der Kinder müssen Platz haben. Man kann das Kind in den Arm nehmen, trösten, beruhigen. Wichtig ist, dass nichts beschönigt wird – und zum Beispiel gesagt wird «Alles ist gut, uns betrifft es nicht». Denn so lässt man das Kind alleine mit den Gefühlen und Gedanken zurück.

Wann merke ich als Vater oder Mutter, dass man vielleicht Hilfe von aussen holen sollte?

Wenn eine Krise praktisch die vorherige ablöst, kann es sein, dass die Belastung zu gross wird. Halten bedrückende Gefühle und Gedanken wochenlang an, sollte man sich professionelle Hilfe holen. Fachpersonen können helfen, wieder Zuversicht zu gewinnen. Eltern und Erziehungsberechtigte können sich vertraulich per Telefon oder online an die Pro Juventute Elternberatung wenden. Kinder und Jugendliche erhalten per Telefon, Chat, SMS oder E-Mail kostenlose Unterstützung beim 147.ch.

Gibt es Tipps für Familien, wie man in solchen Zeiten den Kindern dennoch ein gutes Gefühl vermitteln kann?

Wichtig ist, dass man in einem ersten Schritt gemeinsam nach geeigneten Informationen sucht und so die Fragen beantwortet. Aber dann muss man sich als Familie auch eine Pause davon gönnen. Man kann sich gemeinsam ablenken, indem man etwas unternimmt. Zum Beispiel das Lieblingsessen der Kinder bestellen oder einen Spaziergang machen. So kommt man wieder auf andere Gedanken. Und wie gesagt, möchten viele Kinder und Jugendliche aktiv helfen. Das sollte man ihnen ermöglichen. ++