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Erste Liebe

Eben noch galt die Maxime «Jungs sind blöd!» beziehungsweise «Mädchen sind doof!» und plötzlich ändert sich diese ablehnende Einstellung und macht Platz für die ersten Liebesgefühle. Eine spannende Zeit für Teenager – und auch für ihre Eltern!

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Es ist nicht so, dass sich Beziehungen zwischen Mädchen und Jungen erst im Teenageralter entwickeln. Schon mit etwa fünf Jahren können tiefe Freundschaften zwischen Mädchen und Jungen entstehen. Diese Freundschaften sind in der Regel von gemeinsamen Interessen und Sympathie füreinander getragen. Die unterschiedliche Geschlechtszugehörigkeit wird in diesem Alter nur knapp wahrgenommen und hat keine grosse Bedeutung. Erst etwas später bemerken Kinder diese Unterschiede, und es folgt meist eine Zeit der Abgrenzung zwischen den Geschlechtern. In dieser Phase sind vor allem Beziehungen innerhalb des eigenen Geschlechts wichtig. Mädchen können im Kreis von anderen Mädchen ganz sich selber sein, und auch Knaben wollen möglichst viel Zeit mit ihren Kollegen verbringen.

«Willst du mit mir gehen?»

Mit dem Einsetzen der Pubertät beginnt das bewusste Wahrnehmen und Entdecken des anderen Geschlechts. Mami und Papi haben als alleinige «Objekte» der kindlichen Liebe langsam ausgedient. Im Kinderzimmer müssen die selbstgemachten Zeichnungen und Basteleien Platz machen für die Poster von unerreichbaren Pop-Stars und Sport-Idolen, die bewundert und angehimmelt werden. Gleichzeitig findet eine zunächst noch scheue Annäherung an das andere Geschlecht in der Nachbarschaft und Schule statt. Es kommt zur ersten Verliebtheit mit all den schönen Gefühlen, die sie mit sich bringt. Gleichzeitig ist es aber auch eine schwierige Zeit, darin sind sich alle Experten einig: Das Kind weiss nicht wohin mit diesen neuen, völlig unbekannten Empfindungen und wie es sich verhalten soll: Soll Julia ihrem Schwarm Tobias sagen, was sie für ihn empfindet? Aber was, wenn Tobias ihre Gefühle nicht erwidert?! Solche und ähnliche Überlegungen werden lange hin und her gewälzt.

Da Mädchen im Teenageralter entwicklungsmässig um bis zu eineinhalb Jahre weiter fortgeschritten sind und meist über eine grössere soziale Kompetenz verfügen als Jungs, sind es häufig sie, die den ersten Schritt tun und beispielsweise ihrem Schulkameraden ein Zettelchen mit einem Liebesbekenntnis zustecken. Nicht selten sind die anvisierten Knaben total überfordert mit dieser Situation, die für sie zu früh kommt. Sie ignorieren die Botschaft oder machen sich darüber lustig. Hier spielt der Gruppendruck eine grosse Rolle: «Wie stehe ich vor meinen Freunden da, wenn ich zugebe, dass ich Julia auch toll finde? Werden sie mich auslachen? Werden sie denken, dass ich ein Weichei bin?» Es ist wichtig, dass die eigene Clique die Beziehung gutheisst, denn die ersten Treffen der frischgebackenen Pärchen finden eigentlich immer innerhalb dieser Gruppe statt. In diesem Umfeld fühlt man sich sicherer und es ist auch nicht so peinlich, wenn sich das Mädchen und der Junge nicht viel zu erzählen haben, was in diesem Alter häufig der Fall sein kann. Später finden Treffen auch mal ohne Clique statt. Man hält Händchen, besucht einander zu Hause, es werden kleine Geschenke gemacht und Gefallen erwiesen und man tauscht die ersten zaghaften Küsse aus.

Die Zeichen lesen

Eltern sind manchmal die Letzten, die von einer Liebesbeziehung ihrer Kinder erfahren, so die schwedische Erziehungsfachfrau und Buchautorin Anna Wahlgren. Es gibt aber einige Zeichen, die darauf hinweisen, dass ein Kind in eine neue Lebensphase eingetreten ist: es telefoniert häufiger und länger oder verbringt viel Zeit mit Simsen oder Chatten; das Taschengeld ist schneller aufgebraucht;  die «richtige» Kleidung, sprich ein cooles Outfit wird immer wichtiger; es wäscht sich mehr und auch freiwillig (!); es will gut riechen, legt Wert auf Deos und experimentiert auch mal mit dem Parfum der Eltern; Mädchen versuchen sich, zunächst noch reichlich unbeholfen, an etwas Schminke wie Gloss, Nagellack und Wimperntusche.

In dieser Zeit verändern sich die Pubertierenden nicht nur äusserlich, sondern auch innerlich. Die Hormone spielen verrückt und steuern nicht nur das körperliche Wachstum und die Entwicklung, sondern eben auch die Gefühle. Aus einst braven, eifrigen Mädchen werden zickige, unkooperative Girls. Aus lieben, fröhlichen Jungs werden ruppige oder wortkarge Möchtegern-Macker. Ihre Gefühlsregungen, egal, ob es sich um Meinungsverschiedenheiten mit den Eltern oder um Liebesdinge handelt, sind oft so heftig, dass sogar das betroffene Kind davon überrascht und überwältigt sein kann. Bei der ersten richtigen Verliebtheit äussert sich das darin, dass der Teenager ständig an die geliebte Person denkt und am liebsten jede freie Minute mit ihr verbringen möchte. Plötzlich sind die Schule, Hobbys, ja sogar andere Freunde und natürlich auch die Eltern und ihre Ansichten nicht mehr so wichtig. Ein herber Schlag für manche Eltern – aber das Natürlichste der Welt. Die erste Liebe ist ein Zeichen dafür, dass das Kind auf dem Weg zum Erwachsenen ist und dass es sich langsam von den Eltern abnabelt, erklärt die deutsche Autorin Barbara Sichtermann. Diese Zeit ist auch für die Eltern anstrengend und verlangt von ihnen starke Nerven, viel Geduld und Fingerspitzengefühl. Früher oder später normalisiert sich das Ganze wieder und neben der neuen Liebe gibt es im Leben des Teenagers wieder Platz für andere Menschen und Interessen.

Ein offenes Ohr

Wenn es um die Liebe geht, reagieren Mädchen und Jungs unterschiedlich. Mädchen sind, nicht nur was dieses Thema betrifft, kommunikativer. Im Teenager-Alter wird es für sie wichtiger, mit ihren Freundinnen zu reden als mit ihnen etwas zu unternehmen. Stundenlang können sie sich ausführlich mit ihnen über die Liebe, ihre Wünsche, Erwartungen und Träume unterhalten. Manche Mädchen wollen auch mit ihren Eltern, vor allem mit ihren Müttern, darüber sprechen. Bei Knaben sieht die Lage etwas anders aus. Auch im sogenannten Zeitalter der Gleichberechtigung ist es immer noch so, dass es den meisten Männern und Jungen eher schwerfällt, über ihre Empfindungen ehrlich zu sprechen. Männliche Teenies wollen in erster Linie vor den Augen ihrer Kumpel bestehen, cool wirken und ihre Fassade aufrechterhalten. Mit ihren Freunden werden sie sich deshalb nicht gross über ihre erste Liebe austauschen wollen oder können. Und auch gegenüber ihren Eltern sind sie in der Regel zurückhaltender als Mädchen. Diese scheinbar kühle Haltung sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass Jungen in Sachen Liebe oft noch unsicherer als Mädchen sind.

Als Eltern sollten wir unseren Kindern vermitteln, dass wir immer ein offenes Ohr für ihre Fragen und Probleme haben und für alles, was sie uns mitteilen wollen, auch zum Thema Liebe, und dass wir sie ernst nehmen. Gerade bei Liebeskummer sollten wir uns vor billigem Trost hüten und auch davor, die Situation zu bagatellisieren. Sätze wie: «Julia war sowieso nicht so nett. Du hast etwas Besseres verdient» oder «Du wirst sehen, bald hast du Tobias wieder vergessen», werden dem Empfinden der Betroffenen nicht gerecht. Kinder sollten lernen, dass Gefühle wichtig sind, auch die unangenehmen. Und dass man zu ihnen stehen und sie nicht einfach hinunterschlucken sollte. Es kann dabei hilfreich sein, wenn sich Eltern an ihre eigene Jugend zurückerinnern und ihren Kindern von ihren Erfahrungen mit der ersten Liebe erzählen, von den guten, aber auch von den weniger schönen. Setzt einem das Kind jedoch Grenzen und möchte es partout nicht reden, so sollte man seine Privatsphäre respektieren und es nicht nötigen. Darin sind sich sowohl Karin Weichold als auch Barbara Sichtermann einig. Manche Kinder müssen zuerst ihre Gefühle «verdauen», bevor sie sich mitteilen können. Und auch danach möchten sie vielleicht nicht jede Einzelheit erklären und ausdiskutieren müssen, sondern einiges für sich behalten dürfen – so wie Erwachsene es auch tun.

Gegenseitiges Vertrauen

Was aber, wenn die Eltern mit der Wahl ihrer Kinder nicht einverstanden sind? Was, wenn sie beispielsweise denken, der Freund sei der falsche Umgang für die Tochter? Verbote nützen nichts, denn sie erzeugen häufig eine Abwehrreaktion, erklärt Barbara Sichtermann. Ausserdem kann niemand sein Kind rund um die Uhr kontrollieren und es wird immer Mittel und Wege finden, um sein Ziel durchzusetzen, auch wenn es dafür seine Eltern anlügen muss. Gegenseitiges Vertrauen sollte jedoch die Basis innerhalb der Familie bilden. Dieses Vertrauen darf auch nicht dadurch zerstört werden, dass Eltern beispielsweise im Tagebuch oder in den Briefen ihres Kindes schnüffeln oder die Anrufe auf dem Handy im Versteckten überprüfen. Wenn sich ein Kind von seinen Eltern verraten und im Stich gelassen fühlt, wird es sich andere Bezugspersonen suchen und genau das ist es, was Eltern vermeiden möchten.

Laden Sie den Freund oder die Freundin Ihres Kindes zu sich nach Hause ein, um sie besser kennen zu lernen und einen geschützten Rahmen für ihre Treffen zu schaffen. Bleiben Sie mit Ihrem Kind im Gespräch, aber verzichten Sie auf Pauschalurteile und geben Sie nur dann Ratschläge, wenn Sie danach gefragt werden. Jugendliche wissen diese Zurückhaltung durchaus zu schätzen und werden sich unter diesen Umständen eher an ihre Eltern wenden, wenn es später auch um Fragen und Un-sicherheiten rund um das Thema Sexualität geht. Vielleicht glauben Sie, Ihr Teenager sei noch meilenweit vom ersten Geschlechtsverkehr entfernt und möchten sich mit -diesem Gedanken noch gar nicht befassen. Aber es gilt zu bedenken, dass die Geschlechtsreife immer früher eintritt. Gemäss neuesten Studien haben manche Mädchen heute mit zehn Jahren ihre erste Menstruation, manche Knaben mit zwölf ihren ersten Samenerguss. Das Thema Sexualität ist deshalb wichtig und sollte nicht auf die lange Bank geschoben werden. Auch sollten wir nicht glauben, dass die heutigen Jugendlichen wegen der permanenten Berieselung mit sexuellen Inhalten durch die Medien richtig aufgeklärt seien. Es stimmt, dass in unserer Zeit schon Teenager Zugang zu Bildern über Sexualität haben, aber Studien zeigen, dass sie über Verhütung und Schutz vor Aids dennoch unzureichend oder sogar falsch informiert sind. Diese Lücke müssen Eltern schliessen. Nicht das Moralisieren, sondern vor allem das Erklären und Aufklären sollte im Mittelpunkt dieser Gespräche stehen. Unweigerlich werden sie zu weiteren Diskussionen führen, bei denen wir unsere Wertvorstellungen genauer darstellen können.

Gerade in der Zeit, in der Teenager die Liebe entdecken, sind sie auf ihre Eltern als sichere Stützen angewiesen, die zwar unaufdringlich, aber da sind, wenn sie gebraucht werden. Regen Sie sich nicht auf, wenn Ihre Tochter diese Woche für Dominik schwärmt und die nächste für Thomas oder ihr Sohn als Don Juan auftritt. Teenager müssen die Erfahrung von Annäherung und Trennung machen und spüren lernen, was eine Beziehung überhaupt ist und was ihnen dabei wichtig ist. Zu lieben ist eine hohe Kunst, die Schritt für Schritt gelernt werden muss.