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Rede mit mir!

Im Kommunikationszeitalter scheint nichts leichter als eben dies – das Kommunizieren. Die Verständigung untereinander ist aber ein sensibler und störanfälliger Prozess, der nicht zuletzt auch innerhalb der Familie grosser Aufmerksamkeit bedarf.

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Ein Telekommunikationsanbieter bewirbt aktuell sein umfassendes Angebot mit einem Einblick in den Alltag einer Familie: Der eine schaut Fussball, die andere einen Liebesfilm, während ein Familienmitglied am PC surft, das andere an der Spielkonsole sitzt und die Nächste telefoniert. Und dies alles zur gleichen Zeit. Technisch ein Highlight. Doch was sagt dieses Bild noch?

Während die Informationslawine rollt, bekommt der aufmerksame Betrachter den Eindruck, dass zwar alle zur gleichen Zeit etwas tun, aber kaum jemand etwas gemeinsam mit einem anderen macht oder gar redet. Hier wird Kommunikation auf die Möglichkeiten der Technik reduziert und ist oft nur einseitig. Kommunizieren ist aber mehr, ein elementarer Bestandteil zwischenmenschlicher Interaktion. Nicht zuletzt und vor allem innerhalb der Familie. Das Mitteilen und damit das Miteinanderteilen sind unstrittige Faktoren für ein harmonisches Zusammenleben. Der Grundstein hierfür wird in der Familie gelegt, in der Kinder das Kommunizieren und den Umgang mit Konflikten erlernen.

Technik ersetzt nicht das reale Erleben

Mit dem Beispiel der Werbung soll hier keinesfalls gesagt sein, dass die technische Entwicklung und deren neue Möglichkei-ten der Grund für Kommunikationsschwie-rigkeiten innerhalb einer Familie seien. «Hier ist kein direkter Zusammenhang ersichtlich», erklärt die Sozialarbeiterin FH und Familienmediatorin Margrith Bachmann-Kunz, Sursee. «Interessant ist, dass ich viele Familien kenne, in denen ein reger Austausch stattfindet, in denen die Eltern miteinander die Erziehung ihrer Kinder besprechen und auch die Kinder – entsprechend ihrem Alter – an Diskussionen beteiligt werden. Ich kenne aber auch viele Familien, in denen wenig Struktur und Rituale vorhanden sind (z.B. kaum mehr ein gemeinsames Nachtessen aller Familienmitglieder, wenig gegenseitiges Interesse am Alltagsleben). Medial wird in diesen Familien schon kommuniziert, aber selten miteinander», fasst der Psychotherapeut FSP Bernhard Bächinger seine Beobachtungen zusammen. «Wichtig sind hier aber klare Regeln: Welches Kind schaut – dem Alter entsprechend – wie viele Stunden fern und welche Sendungen? Was wird gemeinsam angeschaut und anschliessend miteinander diskutiert? Werden die vereinbarten Spielregeln auch eingehalten, mit entsprechenden Konsequenzen beim Überschreiten der Regeln? Gibt es auch Regeln für die Eltern, die ja eine Vorbildfunktion gegenüber den Kindern haben?»

Erfolgreiche Kommunikation ist erlernbar

Doch scheinen Kommunikationsschwierigkeiten bis zu einem gewissen Grad normal. Dies zeigen auch die Ergebnisse der von Jacobs Krönung beim Institut für Demoskopie Allenspach in Auftrag gegebene Kommunikationsstudie 2011, in der Kommunikationsstile zwischen Klischee und Wirklichkeit überprüft wurden. Die Studie belegt unter anderem, dass die Interessenlagen zwischen Frauen und Männern stark auseinandergehen. So reden beispielsweise 47 Prozent der Frauen gerne über Gefühle, aber nur 17 Prozent der Männer ist dies angenehm. Naturgemäss ist auch das Interesse des Nachwuchses auf ganz andere Dinge gerichtet. Probleme eines achtjährigen Kindes mögen einem Erwachsenen lapidar erscheinen. Für das Kind kann der Streit mit dem Banknachbarn in der Schule aber schwerwiegend sein. Ein weiteres Dilemma und nicht selten auch reine Notwendigkeit ist zudem, dass die Kommunikation zwischen Eltern und Kindern oft einseitig von den Erwachsenen dominiert wird. Das Ergebnis von solchen «Kommunikations fallen» kann wiederkehrender Streit und die Verfestigung von eingefahrenen Kommunikationsmustern sein. Soweit, so gut.

Doch ist dieser Umstand keiner, mit dem man sich einfach abfinden muss. Konstruktive und erfolgreiche Kommunikation kann erlernt werden. Hierfür ist es zunächst wichtig, die Kommunikation selbst zu begreifen. Angefangen mit der Erkenntnis des österreichischen Kommunikationswissenschaftlers Paul Watzlawik, der den Umstand auf den Punkt brachte, dass es unmöglich ist, nicht zu kommunizieren. In der Psychologie geht man davon aus, dass 55 Prozent der Kommunikation über Körpersprache, Mimik und Gestik, 38 Prozent über die Art des Sprechens und lediglich 7 Prozent über Worte ablaufen. Jedes Verhalten zwischen zwei oder mehreren sich wahrnehmenden Personen kann als Kommunikation gewertet werden. Dies heisst, dass auch nichts zu sagen, etwas scheinbar zu ignorieren, durchaus eine Aussage für das Gegenüber ist.

Tabulosigkeit erwünscht!

Sowohl für Kinder als auch für Erwachsene ist es wichtig, Vertrauenspersonen zu haben, mit denen offen und ohne Tabus über wirklich alles, was bewegt und beschäftigt, gesprochen werden kann. «Eine der häufigsten Fallen ist das Nichtansprechen, das Vermeiden von Themen, die -etwas schwieriger sind. Es braucht manchmal etwas Mut, die eigenen Bedürfnisse und Wünsche mitzuteilen», so Bernhard Bächinger. Insbesondere Kinder sollten ermutigt werden, ihre Meinung offen zu sagen und ihre Gefühle zu formulieren. Wie wichtig ein offenes Ohr in jeder Lage ist, betont auch Margrith Bachmann-Kunz. «Es ist immer ratsam, den Kindern Aufmerksamkeit zu schenken und sie für etwas Positives zu loben», erklärt sie. Themenverbote haben in einer gesunden Familienkommunikation also nichts zu suchen. Ein Geheimnis eines guten und offenen Kommunikationsklimas ist deshalb auch die Bereitschaft, auf die Themen des anderen einzugehen und nicht nur abzuwarten, bis der andere endlich fertig ist. Umso entscheidender ist hier die Technik des sogenannten «aktiven Zuhörens», die erstmals vom amerikanischen Psychologen und Psychotherapeuten Carl Rogers formuliert wurde. Hierzu gehört zunächst eine Offenheit und positive Grundhaltung dem Gesprächspartner gegenüber. Doch sei dies nicht damit zu verwechseln, dass Zuhören mit Zustimmen einhergehen müsse. Auch hier gilt die alte Weisheit, dass Quantität nicht Qualität ersetzt. Dass viel geredet wird heisst noch lange nicht, dass auch entsprechend zugehört wird, dass die Anliegen des Gegen-übers wirklich wahrgenommen und auch verstanden werden. Denn jede Mitteilung ist nur so gut wie ihre Interpretation.

Ich-Botschaften: Keine Egozentrierung, sondern Deeskalation

Offenheit ist in der Kommunikation mit Kindern ein entscheidender Faktor zur Bildung einer stabilen und kommunikativen Persönlichkeit. In der Kommunikationstheorie differenziert man zwischen einer Inhalts- und einer Beziehungsebene. Letztere bestimmt zudem die inhaltliche Interpretation. Diskrepanzen zwischen dem Gehörten, also dem Inhalt, und dem dazugehörigen Gefühl auf der Beziehungsebene können vor allem von Kindern nicht unter einen Hut gebracht werden, sorgen für Verwirrung und Unsicherheiten, die zu Verhaltensproblemen führen können. Dies vor allem, da Kinder als von ihren Eltern Abhängige die Beziehungs-ebene noch deutlich stärker bewerten. Ob in der Familie oder nicht – generell ist es von Vorteil, anstelle von beschuldigenden Anklagen sogenannte Ich-Botschaften zu formulieren. Wie der Name sagt, stellt man dabei die eigenen Gefühle und Wünsche in den Vordergrund und vermeidet Blockaden beim Gesprächspartner, mit dem man auf diese Weise auf Augenhöhe bleibt. «Du redest Unsinn» wirkt aggressiv, während «Ich verstehe nicht, was du damit meinst» zu einer Erklärung auffordert. Ich-Botschaften fördern zudem ein ähnliches Kommunikationsverhalten des anderen heraus. Dadurch entsteht eine Atmosphäre des Vertrauens und der Offenheit. Provozierende «Killer-Phrasen» wie «Immer», «schon wieder», «jedes Mal» usw. führen nur selten zu einem für alle befriedigenden Ergebnis.

Auf Augenhöhe im Familienrat

Um das Zusammengehörigkeitsgefühl zu stärken und gleichzeitig die Möglichkeit zu schaffen, eine Problemsituation gemeinschaftlich zu klären, kann in Familienrat eingerichtet werden. Dies kann beispielsweise so gehandhabt werden: Zu vereinbarten, festen Terminen kommt die ganze Familie zusammen und berät über Themen, die alle Familienmitglieder be-treffen. Hierzu gehören natürlich nicht nur Probleme, sondern auch schöne Dinge, wie die Planung des nächsten Urlaubes. Aber auch die Verteilung der Hausarbeit und -Streitereien können hier erfolgreich geklärt werden. Zentrale Voraus- setzung: Alle Teilnehmer sind hier gleichberechtigt. Entscheidungen sind nur dann gültig, wenn alle damit einverstanden sind. Vielleicht können sogar die einzelnen Familienmitglieder, also auch die Kinder, in wechselndem Rhythmus die Leitung der Ratssitzung übernehmen. Im Familienrat lernen Kinder schon früh, Verantwortung zu übernehmen und im Gespräch eine gemeinsame Lösung zu finden.

Buchtipp

«Kommunikation in der Familie: Vom Schimpfen und Schreien zum Runden Tisch», von Christa D. Schäfer, Schneider Verlag, Hohengehren, Fr. 22.90, ISBN 978-3-8340-0470-3.