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Das Privileg der freien Wahl

Das Gute an der Zukunft ist, dass wir sie gestalten können, sagt Natascha Sagorski. Die zweifache Mutter, Familienpolitikerin und Autorin hält nicht nur Vorträge zu Themen wie politisches Engagement, Familienpolitik und Vereinbarkeit, sondern hat auch viele kreative Tipps für alle, die mit Kindern die Demokratie verteidigen möchten.

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«Es ist unsere Verantwortung, unsere Kinder fit zu machen für ein Morgen, in dem sie gerne leben», sagt Natascha Sagorski. «Politik hat einen riesigen Einfluss auf uns, und das gilt ganz besonders für Familien. Wir haben das Privileg, in einer demokratischen Gesellschaft aufgewachsen zu sein und sollten heute selbst dazu beitragen, dass dies so bleibt. Denn eine Demokratie ist immer nur so stark wie ihre Bürgerinnen und Bürger.» Neben ihrer Arbeit verfolgt sie ihre politischen Visionen und ist unter anderem auch als Autorin tätig. In ihrem kürzlich erschienenen Werk «Wie wir mit unseren Kindern die Demokratie verteidigen» möchte sie Eltern und Kinder zum politischen Handeln inspirieren. «Wir alle können eine Menge tun, um unsere Zukunft familien- und kinderfreundlicher zu machen», findet die studierte Politikwissenschaftlerin. «Das Buch zeigt Möglichkeiten auf und gibt Tipps, wie Eltern, Grosseltern und alle anderen Menschen, die sich für Kinder und ihre Zukunft einsetzen wollen, mit wenig Zeitaufwand und Ressourcen Einfluss nehmen können – in unserem Alltag, quasi nebenbei oder auch mit etwas mehr zeitlichem Engagement, falls wir temporär die Chance dazu haben. Jeder Beitrag zählt.»

Und jetzt auch noch die Welt retten?

«Wir alle kennen dieses Gefühl, dass alles gleichzeitig passiert und wir uns überfordert fühlen», erzählt die 40-Jährige. «Unsere Mental-Load-Liste platzt ständig aus allen Nähten, und an uns werden laufend Bedürfnisse herangetragen, auf die wir reagieren müssen, die sich aber in den seltensten Fällen mit unseren eigenen decken.» Trotzdem: Wir funktionieren und sollen jetzt gleichzeitig auch noch mithelfen, die Welt zu retten? «Ja!», sagt Natascha Sagorski ganz klar, denn unsere Demokratie lebt davon, dass wir uns für sie einsetzen. Doch wie geht das eigentlich – die Welt retten? «Die Weltrettung hat heute viel mit der Rettung des Klimas zu tun, darin seien sich die allermeisten demokratischen Gesellschaften und in der Wissenschaft heute weitestgehend einig», sagt Natascha Sagorski weiter. Dieser Konsens bedeute jedoch nicht, dass Staaten und Menschen auch dementsprechend handeln. Oft sei vielmehr das Gegenteil der Fall. Vor dem Handel komme die Politik und damit werde es kompliziert und oft auch alles andere als logisch. Glücklicherweise haben wir hierzulande ein Grundgesetz, welches uns allen das Recht auf freie Entfaltung unserer Persönlichkeit, auf körperliche Unversehrtheit, auf Gleichberechtigung, auf Bildung und auf vieles mehr garantiert. Die konkrete Umsetzung dieser Rechte läuft jedoch nicht immer bis ins Detail perfekt – und deshalb dürfen und müssen wir uns aktiv für eine bessere Umsetzung dieser Rechte einsetzen. Auch das sei ein Privileg unserer Demokratie. Laut den Recherchen und Umfragen von Natascha Sagorski schätzen viele das Grundrecht der freien Meinungsäusserung – also, dass wir alle frei denken und sprechen dürfen – am meisten. Und genau deshalb sei es wichtig, dass unsere Kinder von Anfang an lernen, sich eine eigene Meinung zu bilden und diese auch zu vertreten. Dies beginne zu Hause, gehe im Kindergarten und in der Schule weiter, führe zu Entscheidungen bei Wahlen, im Job oder in Ehrenämtern. «Demokratie lernen unsere Kinder niemals nur durch theoretisches Wissen», sagt Natascha Sagorski. «Erst wenn sie Demokratie fühlen, können sie sie auch verstehen und wertschätzen. Unsere Aufgabe ist es, ihnen die Fähigkeit mitzugeben, Demokratie zu fühlen und zu leben. Das Gute: Demokratie vorleben ist kein Vollzeitjob. Vielmehr können wir die Wertschätzung und die Erhaltung unserer Demokratie in unseren Alltag einbauen. Wir können erklären, und wir können inspirieren. Und wir können unser Möglichstes geben, damit unsere Kinder das Rüstzeug haben, sich eine Welt zu erhalten, in der wir frei und demokratisch leben können.»

Zusammenhalt macht stark

Familien sind das Fundament unserer Gesellschaft und damit unserer Demokratie. Fühlen sich Familien politisch schlecht vertreten, trifft das die Mitte der Gesellschaft. «Deshalb müssen wir immer wieder versuchen, gehört zu werden», ist Natascha Sagorski überzeugt. Natürlich gebe es familienpolitische Organisationen, die sich für einzelne familienpolitische Themen einsetzten, doch für eine bessere Wahrnehmung sei eine politische Mitmachkultur im Kleinen wichtig, die zusammen eine flächendeckende Wirkung ermögliche. Demokratie-Klassiker sind Wahlen: «Wir haben das Privileg der freien Wahl, das ist nicht selbstverständlich. Wahlen sind etwas Kostbares, dass wir bewahren, achten, schützen und feiern sollten.» Auch wenn Kinder selbst nicht wählen dürfen, können sie entsprechend eingebunden werden, beispielsweise mit folgenden Tipps und Vorschlägen von Natascha Sagorski:

  • Gemeinsam mit den Kindern aufbereitete Wahlberichterstattung anschauen, z.B. logo! (ZDFtivi).
  • Gemeinsam Bücher lesen, die Wahlen erklären.
  • Kinder mit an den Infostand nehmen und Fragen stellen lassen.
  • Wahl spielen: zu Hause geheime Wahlzettel ausfüllen, zum Beispiel auch bei Fragen wie: Wer darf heute das Ausflugsziel aussuchen?
  • Gemeinsam Wahlprogramme der Parteien in leichter Sprache lesen.
  • Einfach mal nachfragen: Was würdet ihr wählen, wenn ihr heute wählen dürftet? Welche Themen sind für euch am wichtigsten?
  • Hochrechnungen gemeinsam anschauen.
  • Mit Kindern über extreme Parteien sprechen.

Demokratie in der Familie leben

«Wenn wir als Eltern vorleben möchten, dass jede und jeder eine Stimme hat, Lösungen ausgehandelt und Kompromisse gefunden werden, dann sollten wir das auch bei innerfamiliären Entscheidungen berücksichtigen», rät Natascha Sagorski. Natürlich innerhalb eines gewissen Rahmens, denn Demokratie bedeute nicht, dass eine totale Mitbestimmung möglich sei. Es gebe ja auch keine Volksabstimmungen darüber, dass alle Steuern abgeschafft werden müssen. Genauso heisse das nicht, dass Kinder Eltern in jeder Frage überstimmen dürfen sollten. Eine Möglichkeit, Kinder an demokratische Prozesse heranzuführen und familiäre Entscheidungen bewusst demokratisch zu treffen, sei der Familienrat. Dieser könne beispielsweise einmal pro Woche oder auch in einem anderen regelmässigen Rhythmus oder bei einem aktuellen Anlass abgehalten werden. Wichtig dabei sei, dass im Familienrat wirklich über etwas Relevantes entschieden werde. Weiter sei zu beachten, dass Beschlüsse nicht im Nachhinein einseitig wieder gekippt werden und dass jedes Mitglied die gleiche Stimme habe, unabhängig von Alter, Geschlecht und Stellung in der Familie. Ausserdem gelte es, Regeln festzulegen – z.B. reicht ein Mehrheitsbeschluss oder muss eine Entscheidung einstimmig getroffen werden? Gibt es ein Protokoll? Wer leitet die Sitzung – z.B. abwechslungsweise immer ein anderes Familienmitglied. Wie lange soll die Sitzung dauern und welche Themen werden behandelt? Wichtig dabei ist zu beachten, dass bei kleineren Kindern eine Ratssitzung nicht zu lange dauert – bei einem Thema können z.B. 15 Minuten bereits reichen. Und last, but not least: Der Familienrat sollte mit einem positiven Ritual verknüpft werden, sei es, dass eines der Mitglieder dafür extra einen Kuchen backt oder dass nach einem erfolgreichen Beschluss dieser gemeinsam gefeiert wird. Denn: Gemeinsam Familienrat abzuhalten, ist eine Leistung, die auch zusammen zelebriert werden darf.