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Wenn Wasser eben doch dicker als Blut ist

Die leiblichen Eltern von M.C. und E.C. konnten ihren beiden Jungs kein stabiles Zuhause bieten. Zu überfordert waren sie mit ihrer Rolle als Eltern –
mit der Folge, dass die Kinder in ein Heim kamen. Vor über zwei Jahren entschieden sich Reto und seine Partnerin Zeliha, sie als Pflegekinder bei sich aufzunehmen. Von heute auf morgen Eltern zu sein – keine einfache Aufgabe. Jedoch haben die beiden ihre Entscheidung keine Sekunde bereut.

Bild: BlueOrange Studio/Shutterstock.com

Es ist der ganz normale Wahnsinn, den man im Hintergrund der Familie Fischer hört. Kinderlachen, Kindergeschrei, ein Holpern und Poltern. Und auch, wenn Vater Reto von seinen beiden Sprösslingen erzählt, wird schnell klar, wie stolz er auf die beiden Jungs ist. Die täglichen Fortschritte des drei- und des vierjährigen Jungen lassen ihn immer wieder staunen. Da wäre der ruhige und zufriedene kleinere Bruder, während der grössere, sensiblere und lautere einen entsprechenden Rückhalt braucht. Dass er nächstes Jahr bereits den Kindergarten besucht, könne er manchmal ­selber gar nicht glauben. «Wo ist bloss die Zeit hin?» – Auch diese Aussage dürfte wohl den meisten Eltern bekannt vorkommen. Ganz «normale» Gefühle von ganz «normalen» Eltern eben. Und doch gibt es einen kleinen Unterschied: Reto und seine Partnerin Zeliha sind nicht die leiblichen Eltern der Buben. Vor zwei Jahren übernahmen sie die Pflegschaft der beiden. Das macht die Liebe, welche sie mit den Jungs verbindet, aber keinesfalls kleiner. Reto Fischer: «Es macht definitiv keinen Unterschied, ob man leibliche Kinder oder Pflegekinder hat – die Liebe ist genauso bedin­gungslos.»

Lange Eingewöhnungsphase

So klar wie diese Zuneigung war damals auch die Entscheidung, die Kinder bei sich aufzunehmen. Das Schicksal der Kinder liess das Ehepaar nicht los. Da die leiblichen Eltern von ihrer Elternrolle vollends überfordert waren, kamen die Jungs gleich nach ihrer Geburt in ein Heim in der ­Zentralschweiz. Zeitgleich machte sich das Paar aus dem Kanton Aargau Gedanken um eine allfällige Familienplanung. «Wir stellten uns die Frage, ob es in der heutigen Zeit unbedingt eigene Kinder sein müssen – wenn es doch so viele gibt, denen das Schicksal nicht so positiv mitgespielt hat», erinnert sich Reto Fischer. Von den ersten Kontakten bis zur endgültigen Entscheidung verging eine relativ lange Eingewöhnungsphase, in welcher sich die neue Familie ausgiebig beschnuppern und kennenlernen konnte. Der Jüngere war damals knapp jährig, was das Ganze eher ­vereinfachte. Der grössere Bruder hingegen bekam schon mehr mit. So wurden die Besuchszeiten immer mehr ­ausgedehnt, bis schliesslich die Taschen endgültig aus- oder eben eingepackt werden konnten und der Auszug aus dem Kinderheim Tatsache wurde.

Leben im Hier und Jetzt

Damit waren Reto und seine Partnerin Zeliha quasi von heute auf morgen Eltern. «Natürlich war die Umstellung riesig. Da wir beide als Lehrer arbeiten, haben wir die ­Arbeitspläne entsprechend anpassen können», so Reto ­Fischer. Auch für Hobbys oder spontane Wochenend­ausflüge ins Ausland sei seither weniger Zeit. «Dennoch bereuen wir die Entscheidung keine Sekunde. Wir unternehmen jetzt andere Sachen, als Familie – und möchten die Beiden nicht mehr missen.» Dennoch schwingt natürlich stets auch eine kleine Unsicherheit mit. Denn die Beiden haben die Kinder nicht adoptiert, sondern eine Pflegschaft übernommen. Theoretisch wäre es also möglich, dass die Kinder irgendwann einmal wieder bei ihren leiblichen Eltern wohnen könnten. Wie geht das Ehepaar damit um? «Diese Gedanken sind uns eigentlich nicht präsent, wir lassen ­ihnen nicht viel Raum. Wir leben im Hier und Jetzt.»

Kein Unterschied spürbar

Die Reaktionen in ihrem Umfeld auf die Entscheidung der Fischers sind ganz unterschiedlich ausgefallen. Viele fragten sich zu Beginn, ob sie sich wirklich sicher seien und sie es sich gut überlegt hätten. Doch dann, als sie die ­Kinder selber kennenlernen durften, waren die Zweifel schnell weggewischt. «Wir sind einfach eine ganz normale Familie», so Reto Fischer. Fremden Personen würden sie die Pflegschaft auch nicht gross erklären, sondern da sind die ­beiden Kids einfach ihre Kinder. Das nähere Umfeld ist ­natürlich über die Hintergründe informiert. Bereits hätte sich das eine oder andere Paar aus dem Bekanntenkreis ebenfalls für eine Pflegschaft interessiert. Dass es in der Schweiz zu wenig Pflegefamilien gibt, kann Reto Fischer einerseits verstehen. «Natürlich sind vor allem die Kennenlernphase und die Abklärungen mit den Behörden zeitaufwendig. Dennoch kann ich die Leute beruhigen: Es macht wirklich keinen Unterschied, ob es die leiblichen Kinder oder ­Pflegekinder sind. Die Gefühle sind gleich.» Ebenso ähnlich sind die Wünsche, welche Reto und Zeliha für ihre Kinder haben. «Wir hoffen, dass sie einfach ganz normal aufwachsen dürfen.»