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«Spielen ist für die Entwicklung der Kinder sehr zentral!»

Wie wichtig Spielen für die Entwicklung der Kinder ist, weiss Andreas Rimle. Er ist Spielpädagoge aus St. Gallen und beschäftigt sich seit Jahren intensiv mit dem Thema. Ein Gespräch über seine verschiedenen Projekte und Tätigkeiten.

Bild: © ZVG / Andreas Rimle - spielend.ch

Andreas Rimle, wie kamen Sie zum Beruf des Spielpädagogen?

Als Oberstufenlehrer habe ich sehr viel mit den Schülern im Unterricht und im Freien gespielt. Vor 14 Jahren habe ich eine dreimonatige Vollzeitweiterbildung zum Spielpädagogen in Brienz gemacht. Acht Jahre leitete ich die Schule am Ostschweizer Kinderspital in St. Gallen. Da beschäftigte ich mich mit Kindern im Oberstufenalter, die beispielsweise unter Essstörungen, Schulabsentismus, häuslicher Gewalt oder psychischen Lebenskrisen litten. Wir setzten hier das Spielen intensiv ein zur Beziehungsförderung, Motivation und das Lernen. Ich konnte beobachten, wie entscheidend es ist, wie die Kinder in ihrem Umfeld der Familie aufwachsen. Um mich stärker für die Entwicklung der Kinder einsetzen zu können, machte ich mich vor vier Jahren selbstständig.

Wie sieht dieser Beruf im Detail aus?

Der Beruf ist sehr vielseitig. Drei Projekte beschäftigten mich beim Start in die Selbstständigkeit. Bei www.spielschweiz.ch ist ersichtlich, wie wichtig die Vernetzung und gegenseitige Unterstützung im Bereich des Spielens sind. So startete ich mit Unterstützung die Vernetzungsplattform «Das Tor zur Welt des Spielens». Es entstehen ganz viele Kontakte und die Plattform wird für Inputs und Kontaktaufnahme genutzt. Bis zu 1000 Personen sind im Monat auf dieser Plattform. Durch die Teilnahme bei www.spielweg.ch mit einem Spielkollegen an einem Wettbewerb durfte ich die spielpädagogische Planung des Spielweges übernehmen. Dies war eine sehr aufwendige, aber sehr interessante Arbeit, welche mich weiterhin begleitet. Für das Pilotprojekt «Spielen – Väter – Kinder – Kita» habe ich an sieben Kitas je zwei Väter-Kind-Anlässe durchgeführt und ausgewertet. Neben diesen Projekten bin ich mit Weiterbildungen an Schulen und Ausbildungsstätten beschäftigt. Weiter werde ich für Vorträge oder Anlässe gebucht.Aktuell erhielt ich den Auftrag, 22 Spielideen im Tagblatt zu veröffentlichen.

Wie wichtig ist Spielen Ihrer Meinung nach für unsere Kinder?

Das Spielen und der Aufenthalt in der Natur sind für die Entwicklung der Kinder sehr zentral und werden deutlich unterschätzt. Die Lobby für die Kinder ist zu wenig gross und erhält ungenügend Unterstützung.

Was bringt das Spielen meinem Kind fürs Leben?

Das Kind kann in den ersten sechs Lebensjahren zu einer Persönlichkeit heranreifen, sodass es für die Schule und das Leben bereit ist. Es lernt Kreativität und Handlungsplanung. Es stärkt den Selbstwert und die sozialen Kompetenzen. Den Umgang mit Gefühlen zu erleben, ist ebenfalls wichtig. Ja, in Kursen haben wir jeweils notiert, welche Fähigkeiten eine erwachsene Person mitbringen sollte. Wir haben nie eine Kompetenz gestrichen, welche nicht im Spiel erlernt werden kann.

Was ist Kindern beim Spielen besonders wichtig?

Das Grundbedürfnis eines Kindes ist, sich zu bewegen, zu spielen und mit anderen Kindern zusammen zu sein. Ein Kind möchte lernen und entdecken. Somit ist es ganz einfach. Wir müssen den Kindern den Spielraum und (freie) Zeit bieten.

Wie hat sich das Spielen unserer Kinder in den letzten Jahren und Jahrzehnten verändert?

Die Familien sind kleiner geworden und die Spielräume haben abgenommen. Es wird heute deutlich zu wenig kinderfreundlich gebaut. Eltern nehmen sich oft zu wenig Zeit, im Wald oder am Bach zu spielen. Die Kinder sollten Freiräume für das freie Spiel bekommen. Sie sollten begleitet und nicht geführt werden.

Gibt es heute noch immer typische Mädchen- bzw. Bubenspiele oder ist diese Unterscheidung kein Thema mehr?

Auch hier gilt, dass wir das Kind nicht beeinflussen sollten, damit es seine Wünsche ausleben kann. Einmal als Prinzessin herumlaufen und die gleichen Reaktionen auslösen – oder ich kämpfe mit meiner Tochter (acht Jahre) wie mit einem Knaben.

Welche Spiele sind im Moment völlig im Trend?

Punto, Bola, Dodelido, Geistesblitz, Schwarz Gelb Rot, Tichu, Dixit, Crazy Cups, Bohnanza, Quarto und natürlich Jassen.

Oft hört und liest man, Kinder würden heute weniger spielen als früher, weil sie mehr Zeit vor einem elektronischen Gerät verbringen. Was meinen Sie dazu? Und wie reagieren Eltern darauf am besten?

In den ersten sechs Jahren sollten Kinder kaum Kontakt mit elektronischen Medien haben. Wir sind hier als Erwachsene auch Vorbild. Wie fühlt sich ein Kind, wenn es dem Papa etwas erzählt und für den Vater plötzlich der Anruf am Handy wichtiger ist? Deshalb: Gehen Sie mit den Kindern viel ins Freie (See, Bach, Wald, Wiese, Berge) und geben Sie den Kindern Zeit zum Bräteln, Verstecken, Fangen, Beobachten. Idealerweise ist das Handy nicht dabei, damit man sich entspannen und auf die Kinder einlassen kann. Das analoge Spiel soll nicht mit dem digitalen Spiel in Konkurrenz treten. Die Ludothek hat viele interessante Spiele. Spielen mit anderen Familien oder einfach Gspändli der Kinder einzuladen, ist ebenfalls hilfreich, das Spielen neu zu entdecken.

Nicht alle Eltern spielen sehr gerne Playmobil, Lego oder Brettspiele. Wie kann ich als Elternteil auch alltägliche Dinge wie kochen, aufräumen oder putzen zum Spiel für mein Kind machen?

Wichtig ist, das Kind als Subjekt und nicht als Objekt zu betrachten. Dies heisst, wir nehmen Ideen des Kindes auf, lassen es ausprobieren, geben Verantwortung ab und haben Vertrauen. Ein Kind kann schon im Vorschulalter mit einem Messer Gurken rüsten.

Wie animiere ich mein Kind zum selbstständigen Spiel?

Geben Sie ihm einfach eine Kartonschachtel zum Basteln. Animieren Sie es, mit anderen Kindern zu spielen – im Wald, am Bach oder im Garten. Die Kinder sollten bei den eigenen Ideen unterstützt und nicht gehindert werden. Eine beratende Rolle kann aber wichtig sein.

Sie sind selber Familienvater von drei Mädchen. Was sind Ihre Lieblingsspiele mit den Kindern?

Zug um Zug, Punto, The Game, Zauberzwerge, Jassen, Würfelpoker, King Domino, Clown, Skip Bo, Kapla, Triout. Mir war es immer wichtig, die Kinder nicht zum Spielen zu zwingen, sondern Lust und Interesse zu wecken.

Was ist der St. Galler Spielweg? Was erwartet die Kinder und ihre Eltern dort?

An 65 Spielposten können je bis zu zehn Spiele mit dem Material vor Ort (Kieselsteine, Treppen, Wasser …) gespielt werden. Die Reihenfolge und die Anzahl können frei gewählt werden. Die Posten regen an, eigene Spiele zu entwerfen. Es können Spielwegführungen gebucht oder eine Schulreise nach St. Gallen geplant werden. Die Spiele können grösstenteils zu Hause wiederholt werden und sind auf der Homepage ersichtlich. www.spielweg.ch

Sie organisieren auch Anlässe und halten Referate. Wie sehen diese genau aus?

Diese sind sehr unterschiedlich und an die Bedürfnisse angepasst. Zwei Beispiele: Nach einem Referat für Eltern biete ich mit der Ludothek zusammen Spiele zum Selberausprobieren an. Mit anderen Vätern und Kindern bin ich zum 50. Mal im Wald. (1x pro Monat).

Was sind Ihrer Meinung nach besonders tolle Spiele für den Sommer?

Kubb, Streetracket, Kreidespiele, Gummitwist, Steinspiele. Im Wald gehören sicher Spiele für die fünf Sinne und Stöcklen dazu. Am Wasser hingegen Steinmändli oder Brücken bauen, Bilder darstellen sowie Stein schiefern.

www.Spielschweiz.ch