Von draussen sind fröhliche Stimmen zu hören. Bald ist 14 Uhr und es wird Einlass in die Bibliothek Knonau gewährt. Die Kinder entledigen sich ihrer Schuhe. Bequeme Kleider haben sie bereits zu Hause angezogen.
Kinder machen Yoga in der Bibliothek
Kurze Zeit später ist es still in der Bibliothek Knonau, einer Schul- und Gemeinde-Bibliothek im Kanton Zürich. Jedes Kind sitzt auf seiner Yogamatte. Zehn Kinder wurden angemeldet zum Kinderyoga in der Bibliothek und allesamt sind sie pünktlich erschienen. Plötzlich geht die Türe auf. Noch jemand möchte dabei sein. Ganz selbstverständlich werden Yogamatten auf die Seite gerückt und Platz gemacht für das Kind. Es sind nun fünf Knaben und sechs Mädchen anwesend. Ihr Alter ist ganz unterschiedlich, denn auf eine Altersbeschränkung hat die Bibliothek Knonau bewusst verzichtet. Jedes Kind soll die Möglichkeit haben, dabei zu sein.
Caroline Wüst leitet das Kinderyoga in der Bibliothek und stellt sich gleich selbst vor. Sie ist Lehrperson, Heilpädagogin, Autorin und Mutter von zwei Kindern und Kinderyoga-Lehrerin. Mit Eltern-Kind-Yoga durfte sie bereits in ihrer Wohnregion Erfahrung sammeln.
Dem Kinderyoga in der Bibliothek liegt jeweils ein Bilderbuch zugrunde. Heute liest Caroline Wüst aus ihrem eigenen Bilderbuch vor: «Die Rotseefee begegnet der Schnecke Relax». Doch zuerst wird eine kleine Klangkugel von einem zum anderen Kind gereicht, und so treten sie alle zusammen ein ins Kinderyoga-Land. Und schon beginnt die Geschichte. Nebst der Rotseefee kommt darin auch ein Frosch vor. So hüpfen die Kinder auf und ab, eben wie ein Frosch, was ihnen sichtlich Spass macht. Auch eine Schnecke spielt darin eine tragende Rolle. Auch in sie versetzt man sich hinein und streckt die Schneckenfüller aus. Bequem soll man sitzen im Kinderyoga, vermittelt Caroline Wüst. Doch wer möchte, dürfe natürlich im Yogasitz dasitzen, genau wie die Rotseefee im Bilderbuch. Ganz allgemein ist es sehr wichtig, auf den eigenen Körper zu hören und nur zu machen, was ihm guttut. Einer der Werte, die das Kinderyoga in der Bibliothek vermitteln möchte, ist Achtsamkeit gegenüber dem eigenen Körper und den Mitmenschen.
Entspannung ist angesagt
Auf dem Rücken liegend wird ein- und ausgeatmet. Sobald die kleine Klangschale zu hören ist, dürfen die Kinder wieder aufsitzen. Caroline Wüst fragt nach, wie es den Kindern geht und auch, ob sie etwas gehört, gefühlt oder gerochen haben. Jemand hätte mit den Fingern geschnipst, meint ein Kind. Ein anderes hat gefühlt, wie kalt die Eisenstange von einem Buchregal ist. Ein drittes Kind meinte, es rieche nach Büchern! Die Kinder wirken ganz entspannt, aber noch hellwach und sind ganz konzentriert bei der Sache. Ein weiterer Wert, der im Kinderyoga in der Bibliothek wichtig sei, ist, die Sinne zu schärfen und aufmerksam durchs Leben zu gehen.
Wissen, was einem guttut
Schauplatz des Bilderbuchs «Die Rotseefee begegnet der Schnecke Relax» ist ein See mit viel Wald darum herum. So versuchen sich die Kinder in einen Baum hineinzuversetzen. Die Hände werden ausgestreckt zur Baumkrone und die Füsse fest verankert im Boden wie die Baumwurzeln. Die Kinder versuchen sogar auf einem Bein zu stehen, was ihnen gut gelingt. Verankert sein im Leben, das wird immer wichtiger. Halt finden, wissen, was einem guttut.
In der Mitte der angeordneten Yogamatten liegen verschieden farbige Bälle auf farbigen Tüchern. Es sind Massagebälle. Caroline Wüst erklärt, dass es ganz wichtig sei, auf seinen eigenen Körper zu achten und Grenzen zu setzen. Vorne am Körper seien wichtige, aber auch empfindliche und empfindsame Körperteile wie die Brust und die Sexualorgane und dafür sei ganz besonders Sorge zu tragen. Diese gehören nur einem selbst. Wer möchte, darf sich nun von einem anderen Kind den Rücken massieren lassen. Gibt es einen Ort, wo es dies nicht möchte, ist es ganz wichtig, dies mitzuteilen. Alle Kinder holen sich sofort einen Ball und rasch sind Zweierteams gebildet. Ganz ruhig und mit Andacht und Respekt werden Rücken massiert!
So rasch sind die 45 Minuten vergangen. Mit der Klangkugel, die von einer Hand zur anderen wandert, wird das Kinderyoga-Land in der Bibliothek für heute verlassen.
Achtsamkeit und Achtung
Caroline Wüst und Petra Studer, Bibliothekarin in der Schul- und Gemeinde-Bibliothek Knonau und Initiatorin des Kinderyoga in der Bibliothek, staunen, sind tief berührt, mit wie viel Freude und Hingabe die Kinder mitgemacht haben. Die schöne Atmosphäre von Achtsamkeit und Achtung gegenüber sich selbst und allen anderen Kindern in der Bibliothek ist noch immer zu spüren.
Die Kinder verabschieden sich mit fröhlichem Stimmengewirr und das eine oder andere meldet sich gleich zum nächsten Kinderyoga in der Bibliothek an.
Eine Bibliothek in Österreich, Maria Neustift, bietet ebenfalls Kinderyoga in der Bibliothek an. In der Schweiz ist das Angebot einmalig und wurde noch nie in dieser Form in einer Bibliothek angeboten. Caroline Wüst und Petra Studer freuen sich, diese positive Erfahrung nun mit anderen zu teilen.