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Harmonie am Familientisch?!

Ich habe manches Mal am Familientisch das Gefühl, ich bin im falschen Film. Der älteste Sohn, 12 Jahre, isst, dass es dem Hungrigsten den Appetit verschlägt, die mittlere Tochter, 10 Jahre, reklamiert lautstark, dass nicht nur der Vater, sondern auch sie das Handy bei sich behalten darf und der Jüngste, 6 Jahre, findet das Essen auf dem Tisch schlicht „grusig“. Was raten Sie mir, damit unsere Mahlzeiten wieder harmonischer werden?

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Harmonie am Familientisch. Wer kennt es nicht, dieses utopisch anmutende Bedürfnis vieler geplagter Eltern? Utopisch ist es vor allem dann, wenn wir von allen, vor allem auch von uns selbst, zuviel erwarten. Dass Sie aber Ordnung schaffen wollen, verstehe ich sehr gut und es gibt auch einige Möglichkeiten, das „Ruder“ wieder in die eigenen Hände zu nehmen. Hierzu ein paar Tipps: Decken Sie Ihren Esstisch täglich mit Besteck, Gläsern und Servietten. Am besten gemeinsam mit den Kindern. Zudem essen Kinder vielfältiger und besser, wenn sie in die Vorbereitung der Mahlzeit miteinbezogen werden. Vielleicht würden sich Ihre Kinder sogar freuen, wenn sie mal selber an einem Sonntag kochen dürften? Die Eltern sind von weitem ansprechbar, lassen den Nachwuchs aber selber hantieren. Wenn dann auch eine dunkel gefärbte Omelette gelobt wird, ist die Freude und Motivation für ein nächstes Mal gross und meist vorhanden. Manieren à la Knigge sind natürlich umfassender, aber für den Anfang reichen für den Familientisch folgende Regeln:

  1. Der Kühlschrank ist das Revier des Küchenchefs! Jedoch darf alles, was auf dem Esstisch steht, zwischendurch gegessen werden (z. Bsp. Früchte, Rüebli etc.)
  2. Pünktlich zum Tisch erscheinen (ev. Regel, dass die Mahlzeit 5 Min. vorher angekündigt wird (Gong etc.)
  3. Handy wird – im Ruhemodus – im Schlafzimmer gelassen.
  4. Mit Essen warten, bis alle geschöpft haben.
  5. Alle wünschen sich «E Guete!» oder sprechen, singen ein kurzes Tischgebet.
  6. Gegessen wird mit Gabel, Löffel und später mit Messer – Ausnahme: Fingerfood, denn ab und zu gibt es ein «Indianer-Essen».
  7. Beim Essen darf geredet werden – aber nur mit leerem Mund.
  8. Den Mund mit der Serviette statt am Pullover abwischen.
  9. Alle probieren von allem ein wenig. Danach darf man wünschen, wovon man gerne noch mehr hätte. Pro Woche und Kopf 1 Joker, das heisst, man muss auch nicht probieren!
  10. Wer etwas haben möchte oder den Tisch verlässt, bittet höflich darum, ansonsten bleibt jeder am Tisch, bis die Tischrunde aufgehoben wird. Zum Beispiel mit einem kurzen Wunsch: «Allen einen schönen Nachmittag!» oder einem Dankeschön des Partners für’s Kochen.

Regeln sollten immer für alle gelten, leicht versteh- und durchsetzbar sein. Das heisst, dass es auch der Vater mal 20 Minuten auf das Natel verzichten kann, die Regeln in einer ruhigen Minute allen bekannt gemacht werden – ev. einfache Collage am Kühlschrank – und es Konsequenzen hat, wenn sich jemand nicht daran hält.

Gelegentlich provoziert ein grösseres Kind am Esstisch auch ganz bewusst. Wird ihm mit der Bemerkung, dass erst weiter gegessen wird, wenn es sich anständig benimmt, der Teller weggenommen oder es für kurze Zeit ins Zimmer geschickt, hört das Provozieren meist rasch auf. Sonst Lektion wiederholen, bis die «Spielregeln» klar sind…. Am besten fragen die Eltern aber zuerst kurz, was die Essregeln sind und die Konsequenzen bei Nichtbeachtung. Sobald das Kind wieder schön isst, loben sie es dafür: «Schön, dass du nun sauber isst, das freut mich sehr.»

Es interessiert Kinder, dass man in China rülpst, wenn einem das Essen gut geschmeckt hat. Wie kommt das aber hier bei uns an, wenn jemand während des Essens rülpst und/oder mit den Fingern isst und kleckert?

Zur Abwechslung können Eltern auch einmal kommentarlos selber ganz unappetitlich zu essen beginnen. Weil die Kinder dann realisieren, wie unangenehm ein schmatzender Tischnachbar ist, wird die Situation so häufig schlagartig entschärft und fröhlich belebt. Wenn Regeln auch mal mit Humor in Erinnerung gerufen werden, erhöht sich die Chance, dass sie zukünftig besser eingehalten werden.

*Marie-Louise Spinnler-Schweizer ist Primarlehrerin, Erwachsenenbildnerin und Triple P-Elternberaterin. Sie ist verheiratet und Mutter von vier erwachsenen Kindern, www.elternberatung-spinnler.ch