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Handygebrauch der Eltern hat Einfluss auf die Kinder

Was darf mein Kind in sozialen Netzwerken posten? Haben Computerspiele zu Recht einen schlechten Ruf? Und was kann ich tun, wenn mein Kind Opfer von Cybermobbing ist? Solche oder ähnliche Fragen tauchen wohl in der Zeit der digitalen Medien in jeder Familie irgendwann auf. Yvonne Haldimann ist Projektleiterin bei Jugend & Medien, Soziologin und Medienwissenschaftlerin. Wir haben sie zum Thema Medienkompetenz mit Fragen gelöchert

Bild: © gpointstudio / shutterstock.com

Medienkompetenz. Ein Wort, das in aller Munde ist. Was bedeutet es aber eigentlich genau?
Medienkompetenz bedeutet, bewusst und vor allem verantwortungsbewusst mit Medien umzugehen. Dazu gehört das Wissen, wie man seine Bedürfnisse nach Information und Unterhaltung mit Medien erfüllen kann, aber auch das Hinterfragen medialer Inhalte und des eigenen Medienkonsums. Ausserdem gehört auch ein kompetenter Umgang mit digitalen Medien dazu: Vorsichtig sein mit persönlichen Daten im Internet, Informationen kritisch prüfen, allgemeine Umgangsregeln auch im Internet beachten usw.

Wie kann man als Eltern Vorbilder in Sachen Medienkompetenz sein?
Gerade bei der kritischen Analyse von Inhalten oder der Abschätzung der sozialen Konsequenzen sind Erwachsene den Kindern und Jugendlichen aufgrund ihrer Lebenserfahrung voraus und können ihnen dort Vorbild und Unterstützung sein. Zudem ist es auch wichtig, dass Eltern bei der Nutzung der Geräte eine Vorbildrolle wahrnehmen.

Können Sie das genauer ausführen?
Es ist sehr wichtig, dass Eltern sich bewusst sind, dass ihr eigener Handygebrauch auf ihre Kinder einen grossen Einfluss hat. Wer permanent aufs Smartphone schaut, es beispielsweise auch während des gemeinsamen Essens oder bei einem Gesellschaftsspiel immer griffbereit hat und auf jede Benachrichtigung sofort reagiert, der vermittelt dem Nachwuchs natürlich eine immense Wichtigkeit des Geräts.

Auf Spielplätzen kann man oft Folgendes beobachten: Die Kinder spielen, die Mütter oder Väter sitzen auf einer Bank und sind mit dem Handy beschäftigt …
Früher haben Eltern auf dem Spielplatz auch mal eine Zeitschrift gelesen und haben nicht permanent verfolgt, was das Kind gerade macht. Da spielt ja auch eine entscheidende Rolle, wie alt das Kind ist. Es gilt deshalb: alles mit Mass! Wir propagieren nicht ein Handyverbot auf dem Spielplatz. Aber wir plädieren dafür, dass Eltern bei gemeinsamen Aktivitäten und z. B. auch beim Essen das Handy zur Seite legen und sich voll und ganz auf die Interaktion mit dem Kind konzentrieren.

Braucht es Schulungen für Eltern, wie sie ihren Kindern den Umgang mit Medien beibringen können?
Es braucht sicher Informationen und Tipps für Eltern, wie ein guter Umgang mit Medien gelingt. Da viele Eltern in ihrer eigenen Kindheit und Jugend noch nicht mit digitalen Medien konfrontiert waren, fehlen ihnen Erfahrungswerte. Auf unserer Website www.jugendundmedien.ch finden sich zu vielen Themen konkrete Tipps für Eltern. Es gibt auch viele gute Elternveranstaltungen von verschiedenen Anbieterinnen und Anbietern.

Wenn man manchmal von Gefahren für Kinder und Jugendliche im Internet liest, möchte man als Eltern am liebsten den Zugang zum World Wide Web verbieten. Ein gangbarer Weg?
Nein, weil das World Wide Web zu unserem Leben, das heisst zu Schule, Freizeit, Ausbildung und Beruf gehört. Viel besser ist es, wenn die Eltern ihre Kinder einen sicheren Umgang lehren und für Risiken sensibilisieren. Ausserdem sollte auch eine gute und permanente Kommunikation zwischen Eltern und Kindern gepflegt werden. Das heisst konkret, dass Eltern immer mal wieder nachfragen und sich zeigen lassen, was ihre Kinder im Internet und auf den sozialen Medien tun. Wichtig ist, dass Kinder ihren Eltern erzählen, wenn sie etwas auf dem Netz sehen, dass sie ängstigt oder verstört.

Wo wir gerade bei Gefahren sind: Welches sind die grössten beim Surfen im Internet?
Die grössten Risiken sind sicher im Bereich Sexualität und Pornografie zu finden: sexuelle Belästigung, Cybergrooming (d.h. die Kontaktaufnahme von erwachsenen Personen mit einem Kind mit dem Ziel, sexuelle Handlungen vorzunehmen), Sextortion (d.h. die Erpressung mithilfe von erotischen Selfies) oder Pornografie.

Wohl täglich stellt sich die Frage: Wie viel Zeit räume ich meinem Kind ein, um das Handy zu nutzen, vor dem Fernseher zu sitzen oder am Computer zu spielen? Gibt es dafür eine Faustregel?
Seit einigen Jahren wird bereits die sogenannte 3-6-9-12 Regel (www.3-6-9-12.org) vom französischen Forscher Serge Tisseron propagiert. Sie wurde kürzlich überarbeitet und den neuen Gegebenheiten angepasst. Es ist schwierig, eine konkrete Zeitangabe zu machen, schliesslich verläuft ja die Entwicklung bei jedem Kind individuell. Was für das eine Kind gut ist, kann für das andere bereits problematisch sein.

Ab wie viel Bildschirmzeit wird es gefährlich und welche Risiken birgt zu viel Zeit an Handy, Computer und Co.?
Es gibt keine absolute Zeitangabe, ab welcher es gefährlich wird. Wenn sich aber die Mediennutzung negativ auf andere Lebensbereiche auswirkt, dann ist klar, das etwas nicht gut läuft. Solche Anzeichen sind beispielweise abfallende Leistungen in der Schule, sozialer Rückzug, Übermüdung als Folge von Schlafmangel, Vernachlässigung von Kontakten zu Gleichaltrigen oder auch fehlendes Interesse an anderen Freizeitaktivitäten.

Als Eltern sollte man die Bildschirmzeit einschränken, vonseiten der Schule läuft jedoch sehr vieles darüber (Whatsapp-Chats, am Computer sollen sie Fragen ausfüllen etc). Ist das nicht ein Widerspruch?
Nein, aber es macht es für Eltern schwieriger, die Handyzeit festzulegen. Dass heute vermehrt auch in der Schule mit Bildschirmen gearbeitet wird, ist nicht per se schlecht, sondern bietet im Gegenteil sogar ein grosses Potenzial an kreativeren und interessanteren Lernformen. Auch bei der Arbeit läuft heute ja bei sehr vielen Berufen alles über Bildschirme. Für viele Eltern stellt es aber tatsächlich eine Herausforderung dar, die Handyzeit von Jugendlichen zu beschränken, wenn es auch in der Schule gebraucht wird. Das tägliche Kontingent ist ja dann eigentlich bereits in der Schule aufgebraucht.

Ab wann sollte man es dem Kind überhaupt erlauben, ein eigenes Handy zu besitzen?
Auch hier gibt es keine generelle Antwort. Braucht das Kind ein Handy aus einem bestimmten Grund, zum Beispiel weil es von seinem Hobby abends alleine nach Hause kommt? In diesem Fall würde auch ein gewöhnliches Mobiltelefon reichen, das nicht mit dem Internet verbunden ist. Generell sollte ein Kind ein Smartphone erst erhalten, wenn es reif genug dafür ist. Dazu gehört, zu verstehen, welche Risiken mit der Nutzung verbunden sind, was erlaubt und was verboten ist beziehungsweise welche rechtlichen Aspekte zu beachten sind (z.B. das Recht am eigenen Bild). Als Richtwert kann man sagen zwischen 9 und 12 Jahren wird das eigene Handy ein Thema.

Welche Regeln können Eltern aufstellen, um ihre Kinder vor Überkonsum digitaler Medien oder Risiken im Internet
zu schützen?
Wichtig ist eine gute Balance zwischen online und offline. Das heisst, Kinder sollen bewusst auch medienfreie Zeit verbringen beziehungsweise Hobbys nachgehen, die nichts mit digitalen Medien zu tun haben. Gemeinsam mit dem Kind kann besprochen werden, wie viel Zeit es pro Tag oder pro Woche vor Bildschirmen verbringen darf. Diese Abmachung gilt es dann auch durchzusetzen, was natürlich nicht immer einfach ist und heutzutage in vielen Familien für grosse Diskussionen sorgt. Ausserdem gilt nach wie vor: TV, PC und Spielkonsole gehören nicht ins Kinderzimmer. Und für Smartphones, Tablets und Laptops kann auch die Regel gelten, dass sie für bestimmte Zeiten abgegeben werden müssen.

Jugendliche sind meist regelrecht allergisch gegen Vorschriften. Gibt es Tipps, wie man «sanft» Regeln einführen kann?
Bei Jugendlichen sollen Regeln sicher gemeinsam besprochen und ausgehandelt und nicht – wie bei kleineren Kindern – vorgegeben werden. Zudem eignet sich für Jugendliche das Festlegen bildschirmfreier Zeiten besser.

Wo liegen Chancen und Risiken von sozialen Netzwerken?
Soziale Netzwerke bieten Jugendlichen viele Chancen: sie lernen beispielsweise soziale Fähigkeiten wie Beziehungen aufzubauen und zu pflegen oder Gedanken zu teilen. Die Rückmeldungen ihrer virtuellen Freunde tragen zudem zur Herausbildung und Formung der eigenen Identität bei. Mit den sozialen Netzwerken sind sie ihren Freunden auch immer und überall nahe und sie können sich mit Gleichgesinnten in der ganzen Welt austauschen. Natürlich gibt es auch Risiken: so entsteht schnell ein sozialer Druck, ständig online zu sein und die Angst, etwas zu verpassen, kann problematisch sein. Weiter ist es auch möglich, in den sozialen Netzwerken blossgestellt, beleidigt oder belästigt zu werden. Und nicht zuletzt muss man daran denken, dass man keine Kontrolle über gepostete Fotos, Videos und Kommentare hat und diese immer im Netz bleiben.

Das Internet vergisst bekanntlich nichts. Was soll man Kindern in Sachen Posting von Bildern oder Texten erlauben, was nicht?
Es ist sehr wichtig, seinem Kind klarzumachen, dass einmal gepostete Dinge im Netz bleiben und das dies möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt auch mal unangenehme Folgen haben kann. Am besten rät man dem Kind, nur Bilder oder Texte zu posten, zu denen man auch öffentlich stehen würde, das heisst, die man beispielsweise auch an einer Bushaltestelle aufhängen würde.

Und welche Sicherheitsmassnahmen kann man ergreifen, um Daten der Kinder zu schützen?
Datenschutz beginnt schon sehr früh. Eltern sollten sich genau überlegen, welche Fotos oder Videos von ihren Kindern sie im Netz veröffentlichen wollen. Wenn das Kind dann ein eigenes Smartphone oder Tablet erhält, sollte man ihm erklären, was es darf und was nicht: zum Beispiel keine persönlichen Daten weitergeben, ohne das vorher mit den Eltern zu besprechen.

Wie unterscheidet sich das Verhalten von Mädchen und Jungs im Umgang mit Medien?
Gemäss Studien besteht nach wie vor ein Unterschied beim Gamen: Jungs gamen häufiger als Mädchen und nutzen auch eher Onlinegames. Jungs haben auch eher schon mal Pornofilme oder brutale Videos gesehen als Mädchen. Ausserdem machen sich Mädchen offenbar etwas häufiger Gedanken zur Privatsphäre und zur Sichtbarkeit persönlicher Informationen in den sozialen Netzwerken.

Computerspielen haftet oft ein schlechter Ruf an. Sie würden schnell süchtig machen und Aggressionen auslösen. Bringen sie aber auch Vorteile?
Allerdings! Mit Videospielen können nämlich eine Reihe von Fertigkeiten trainiert werden, allen voran strategisches Denken, räumliche Orientierung, feinmotorische Fähigkeiten, Teamarbeit und Kreativität. Games ermöglichen auch Erfolgserlebnisse, was für die Entwicklung positiv sein kann. Und durch die Vernetzung in der digitalen Welt wird man ausserdem ein Teil einer globalen Community und spielt mit Menschen aus anderen Ländern und in verschiedenen Sprachen. Schliesslich sind Games ein Teil der Jugendkultur und sorgen für Gesprächsstoff, womit auch das Gemeinschaftsgefühl gestärkt wird.

Was genau versteckt sich hinter dem Begriff Cybermobbing?
Cybermobbing ist Mobbing im virtuellen Raum. Das bedeutet, dass eine Person über eine längere Zeit immer wieder über digitale Medien schikaniert wird, beispielsweise mit Kommentaren oder Nachrichten über WhatsApp, Facebook oder andere Dienste. Cybermobbing ist besonders schlimm, weil das Opfer über Internet sogar in den eigenen vier Wänden attackiert werden kann. Zudem sind veröffentlichte Verletzungen im Netz schwer zu entfernen und können wieder und wieder gelesen oder angeschaut werden.

Wie kann man Kinder davor schützen?
Es ist auch hier wichtig, das Kind darauf aufmerksam zu machen, dass es seine Sicherheit und Privatsphäre schützen soll. Je mehr es in sozialen Netzwerken oder Foren preisgibt, umso mehr macht es sich angreifbar. Mit persönlichen Daten soll deshalb immer zurückhaltend umgegangen werden. Ausserdem soll man auch selbst immer einen respektvollen Umgang mit anderen pflegen. Und schliesslich gilt auch hier wieder: unbedingt mit dem Kind permanent im Dialog bleiben, sodass das Kind zu einem Elternteil geht, wenn es zu Belästigungen kommt.

Was kann man tun, wenn Anzeichen bestehen, dass das Kind Opfer von Cybermobbing ist?
Natürlich soll man sofort mit dem Kind darüber sprechen und dann alle Beweise, zum Beispiel in Form von Screenshots oder Kopien, sicherstellen. Danach gilt es, die beleidigenden Inhalte zu löschen oder vom Plattformbetreiber löschen zu lassen. Täterinnen und Täter können zur Rechenschaft gezogen werden. Cybermobbing ist zwar nicht explizit als Straftatbestand im Strafgesetz aufgeführt, es liegen aber möglicherweise strafbare Handlungen wie üble Nachrede, Verleumdung, Beschimpfung, Drohung oder Nötigung vor.

Und wie sollte man als Eltern reagieren, wenn das eigene Kind in Sachen Cybermobbing nicht zu den Opfern, sondern zu den Tätern gehört?
Da ist es ganz wichtig, dem Kind klarzumachen, dass sein Verhalten verletzend und möglicherweise sogar strafbar ist. Man sollte ihm aufzeigen, was wäre, wenn es das Opfer wäre und man sollte mit ihm diskutieren, was zu einem respektvollen Verhalten (online und offline) gehört. Schliesslich ist es wichtig, dass das Kind die Konsequenzen trägt: gemeinsam sollte diskutiert werden, wie es sich entschuldigen und sein Verhalten wiedergutmachen kann.

Wenn Jugendliche ihre Sexualität entdecken, führen wenige Klicks im Internet zu Pornografie. Wie kann man sein Kind davor schützen?
Eltern sollten dafür sorgen, dass Kinder und Jugendliche nur Zugang zu altersgerechten Inhalten haben. Der Konsum von Internetpornografie kann bei Jugendlichen falsche Vorstellungen von realer Sexualität erzeugen. Grundsätzlich bietet das Internet eine Fülle an Informationen zu Themen rund um die Sexualität. Für die Jugendlichen ist es aber wichtig, diese auch einordnen zu können. Hier können Eltern eine wichtige Orientierungshilfe bieten, zum Beispiel mit geeigneten, altersgerechten Online-Portalen wie 147.ch, tschau.ch oder feel-ok.ch.

Bei noch ungeklärten Fragen: An welche Beratungsstellen können sich Eltern in Sachen Medienkompetenz wenden?
Pro Juventute bietet Eltern Beratung an (www.elternberatung.projuventute.ch), ebenso wie der Elternnotruf (www.elternnotruf.ch).