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Frage: Mein Tageskind (8) wird von sich selbst „fremdgesteuert“

Mein Tageskind (8) wird von sich selbst „fremdgesteuert“. Es tut Dinge, die es nicht weiss, warum es sie tut, zB.: schneidet eine Ecke vom Tischtuch ab, zerstört Spielsachen, will beim Spielen immer das haben, was andere grad haben oder sein, wo gerade die anderen sind. Es kann sich nicht lange konzentrieren. ADHS sei es laut Abklärung nicht. Wie kann ich diesem Kind helfen? Es erleidet sehr viel Frust – da es immer ausgeschimpft wird. Mitschüler plagen es und da sein Aggresionslevel schnell erreicht ist, gibts immer Aerger. In der Schule darf es nicht mit in die Pause und muss immer vor Unterrichtsbeginn im Klassenzimmer sein. Auch im Turnen darf es nur mitmachen, wenn eine weitere, nur für ihn zuständige Betreuerin dabei ist (umziehen muss es sich alleine in einer anderen Garderobe. Im Grunde ist es ein herzensgutes Kind und wir Tageseltern haben es gern. Allein ist es ein Supertyp. WIE kann ich helfen? Herzlichen Dank für die Hilfe

Bild: © Jet Cat Studio/Shutterstock.com

Liebe Frau E.!

Schön, dass Sie sich so liebevoll um ein Tageskind kümmern! Ich wünsche Ihnen dazu ganz spontan viele schöne Stunden und Jahre! Natürlich ist es schwierig und sogar ein klein wenig «unprofessionell», in einem so augenscheinlich kniffeligen Fall eine klassische «Ferndiagnose» zu stellen! Aber ein paar Tipps kann ich Ihnen gerne geben.

  1. Wenn ich ihre Beschreibung richtig gedeutet habe, ist dieses Verhalten als «Impulskontrollstörung» bekannt. Bitte nehmen Sie daher in irgendeiner Form Kontakt zu Bezugspersonen aus der Kernfamilie des Kindes auf – am Besten natürlich mit den leiblichen Eltern. Versuchen Sie auf diese Weise mehr über die frühen Jahre des Kindes zu erfahren. Dieses wertvolle Wissen ist schon ein wichtiger Baustein für Sie, wenn Sie gezielt helfen möchten.
  2. Sehr oft sind solche Handlungen keine aktiven, sondern reaktive Verhaltensmuster. Das bedeutet, dass augenscheinliches Fehlverhalten verblüffend häufig bloß als Reaktionen auf bestimmte Reiz-Situationen erfolgt. Bitten Sie daher die Lehrer / Betreuer des Kindes, ab jetzt sehr genau darauf zu achten, wann genau die von Ihnen beschriebenen «Fremd-gesteuerten Handlungen» einsetzen. Treten diese wirklich unvermittelt und aus jeder beliebigen Situation heraus auf, oder sind immer ganz ähnliche äußere Umstände für den Drang verantwortlich, etwas zu zerschneiden, oder sich als kleines «Rumpelstilzchen» zu gebärden? Meine Erfahrung in der Familien- und Lehrkräfteberatung zeigt, dass wir Erwachsene oft nur das «störende» Verhalten, aber erstaunlich selten die direkten Auslöser dafür wahrnehmen.
  3. Wenn Ihr kleiner Schützling sich in einer größeren Gruppe nicht wohlfühlt, hingegen offenbar im «Alleingang» pflegeleicht ist, was spricht denn dagegen, ihn in ein anderes schulisches Setting einzugliedern? Es gibt auch in der Schweiz viele schulische Einrichtungen mit sehr kleinen Gruppen.
  4. «Geheimtipp»: Beginnen Sie ab heute zu notieren, unter welchen Bedingungen, Stimmungen oder in welcher Gesellschaft sich der Bub so richtig «herzensgut» verhält, wie Sie es beschreiben! Auf diese positive Sammlung und die «Vermehrung» dieser Situationen sollten Sie ab heute Ihr Augenmerk richten! Vielleicht werden die Alarm-Situationen ja schon allein dadurch weniger häufig und vor allem weniger «tragisch».
  5. Ihr Kind wird ganz offensichtlich konsequent wie ein Außenseiter behandelt, damit es «keinen Schaden» anrichten kann. Bedenken Sie, dass es dabei ganz sicher spürt, dass es andauernd «nicht gut genug» für seine Bezugspersonen und die anderen Kinder ist! Das erzeugt in jeder kindlichen Seele sofort ein tiefes Gefühl von «Ungerechtigkeit». Das wiederum verleitet ganz sicher nicht dazu, sich wie ein Sonnenschein zu verhalten.
    In der kleinen Welt, in welcher Kinder leben, gibt es nichts, dass so deutlich von ihnen erkannt und gefühlt wird, als Ungerechtigkeit. (Charles Dickens)

In diesem Sinne, herzliche Grüße aus Wien

Ihr Gerhard Spitzer
Heilpädagoge
Verein KiddyCoach

www.kiddycoach.ch