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Das Rad nicht neu erfinden – wieso eigentlich nicht?

Spätestens seitdem die Elektrovelos Einzug gehalten haben, sind viele auf den Geschmack gekommen: Velofahren ist so beliebt wie nie zuvor. Dies zeigt sich teilweise in den längeren Lieferfristen, mit denen sich Kunden und Händler herumschlagen müssen. Wie die Situation in diesem Frühling aussieht, verrät Raphael Müller, Produktmanager Velos&E-Bikes bei Veloplus.

Bild:©gorillaimages/shutterstock.com

Der Frühling steht vor der Tür, und damit können wir unsere Fahrräder wieder aus dem Keller holen. Welche Trends in Sachen Zweiräder erwarten uns in diesem Jahr?

Ein Highlight stellt sicher der neue Antrieb von Bosch dar. Während bei vergangenen Launches vor allem der Motor im Fokus lag, hat Bosch für das Jahr 2022 ein neues Antriebssystem vorgestellt. Bosch spricht in diesem Zusammenhang von einem «Smart System», wobei mit dem Ausdruck «Smart» die Verbindung technischer E-Bike-Komponenten mit digitalen Funktionen gemeint ist. Die «E-Bike Flow APP» als zentrales Systemelement eröffnet dabei eine neue vernetzte E-Bike-Welt. So wird es beispielsweise möglich sein, die Motorcharakteristik bequem auf dem Smartphone zu individualisieren. Ebenfalls ermöglicht das neue System «Over-the-Air» Updates sowie das Aufzeichnen von Tour- und Fitnessdaten. Weitere Funktionen und Anbindungen an Drittanbieter-Apps sind zu erwarten.

Wer jetzt denkt, dass sich die Digitalisierung lediglich auf E-Bikes bezieht, liegt falsch. So hat der Fahrwerkshersteller Rock Shox kürzlich elektronisch gesteuerte Federelemente vorgestellt. Erklärtes Ziel: Das Fahrwerk passt sich automatisch dem Fahrverhalten sowie der Untergrundbeschaffenheit an. Unter dem Motto «For Those Who Never Compromise» hat Shimano zwei neue elektronische Schaltgruppen vorgestellt. Es zeichnet sich ab, dass die Hersteller die Digitalisierung und Konnektivität auch in Zukunft mit Hochdruck vorantreiben werden.

Gibt es noch weitere Trends, die zu erwarten sind?

In der Automobilbranche erfreuen sich die SUV-Modelle grosser Beliebtheit. Ein ähnlicher Trend zeichnet sich auch in der Fahrradbranche ab. Hinter den Begriffen «Crossover» oder auch «SUV» verstecken sich E-Bikes, die den Spagat zwischen Mountainbike und Citybike schaffen. Ein Markenzeichen dieser Modelle stellen die breiten, vom Mountainbike inspirierten Reifen dar. Dabei handelt es sich grundsätzlich nicht um einen neuen Trend. Jedoch sind die Absatzzahlen in diesem Segment weiterhin sehr stark am Wachsen – was die Hersteller wiederum veranlasst hat, eine Vielzahl neuer Modelle zu lancieren. Auch das Gravelbike Segment gehört seit ein paar Jahren zu den stark aufstrebenden Segmenten. Das Bedürfnis, abseits von asphaltierten Strassen unterwegs zu sein, spricht eine grosse und stetig wachsende Nutzergruppe an. Aktuell zeichnet sich ab, dass sich innerhalb dieses Segments weitere Subkategorien bilden. So werden beispielsweise vermehrt auch Gravelbikes mit Federgabeln und absenkbaren Sattelstützen ausgestattet, wodurch die Grenzen zum Mountainbike zunehmend verschwimmen. Der Einzug der elektronischen Unterstützung macht auch vor dieser Kategorie keinen Halt. So ist auch die Zahl der E-Gravelbikes weiter am Wachsen.

Sie haben es angesprochen: Elektrovelos sind sehr angesagt. Wie hat sich der Trend entwickelt?

Die Zahl der abgesetzten Elektrovelos ist bereits in den letzten Jahren stark gestiegen. Die Pandemie hat diese Trendentwicklung jedoch weiter beflügelt. So hat das E-Bike als Verkehrsmittel sowie auch als Sportgerät zusätzlich stark an Bedeutung gewonnen. Dies führte zu einer regelrechten Explosion der Absatzzahlen, was wiederum die Hersteller an ihre Kapazitätsgrenzen brachte.

Corona hat auch die Nachfrage nach Zweirädern deutlich erhöht. Wie sieht die Lage derzeit aus?

Die Nachfrage ist insgesamt wieder etwas abgeflacht und hat sich auf einem weiterhin hohen Niveau eingependelt. An dieser Stelle darf jedoch nicht vergessen werden, dass der Absatz der Fahrräder ebenfalls saisonalen Schwankungen unterliegt. Für die Saison 2022 rechnen wir weiterhin mit einer sehr hohen Nachfrage und haben uns entsprechend eingedeckt.

Kann ich überhaupt noch ein neues Fahrrad oder Elektrovelo kaufen – oder gibt es eine Warteliste?

Die extreme Nachfragesteigerung brachte die Hersteller an die Kapazitätsgrenzen, was zu massiven Lieferverzögerungen und Engpässen führte. Die Hersteller und Zulieferer sind jedoch nicht untätig und haben die Produktionskapazitäten entsprechend hochgefahren. Verständlich ist jedoch, dass die Auswirkungen der ergriffenen Massnahmen erst verzögert spürbar sind. Ebenso stellt das stark ausgelastete Logistiknetzwerk die Hersteller vor grosse Probleme. Bereits produzierte Fahrräder können aufgrund fehlender Transportkapazitäten nicht an ihren Bestimmungsort ausgeliefert werden. Die Aussage, dass keine Fahrräder verfügbar sind, ist jedoch falsch. Aktuell haben wir beispielsweise über 90 verschiedene Velomodelle unterschiedlicher Kategorien an Lager. Des Weiteren treffen laufend neue Lieferungen bei uns ein. Der Kundschaft empfehlen wir jedoch, sich frühzeitig mit der Anschaffung eines neuen Velos auseinanderzusetzen. Während der Saison wird die Auswahl an sofort verfügbaren Fahrrädern deutlich abnehmen. Ausserdem braucht es kundenseitig auch ein bisschen Flexibilität, was beispielsweise die Farb- oder Modellwahl anbelangt. Wer bei diesen Punkten kompromissfähig ist, sollte auch ohne Wartefristen in den Genuss eines neuen zweirädrigen Begleiters kommen. Insgesamt gehen wir davon aus, dass sich die Situation ab der Saison 2023 wieder etwas normalisieren sollte.

In diesem Jahr gibt es neuerdings ein Lichtobligatorium bei Elektrovelos.

Zwecks Erhöhung der Sicherheit wird per 1. April 2022 eine Tagfahrlichtpflicht für E-Bikes eingeführt. Bereits zum jetzigen Zeitpunkt schreibt das Gesetz allerdings vor, dass E-Bikes mit einer Beleuchtung ausgestattet sein müssen. Dementsprechend ist aus technischer Sicht keine Veränderung zu verzeichnen. E-Bikefahrende müssen ab April lediglich daran denken, das Licht während der Fahrt auch einzuschalten. Ein Verstoss gegen die Tagfahrlicht-Pflicht wird mit einer Ordnungsbusse von 20 Franken geahndet. Als Händler informieren wir unsere Kunden aktiv auf die bevorstehende Gesetzesänderung. ++