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Bildung am Randbereich

Privatschulen erfreuen sich in der Schweiz zunehmender Beliebtheit. Ihr Angebot richtet sich nicht nur an wohlhabende Familien. Die Auswahl der passenden Schule ist für die Eltern nicht immer einfach.

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Mit einer Kleingruppe, bestehend aus 13 Kindern, startete die International School diesen Januar ihren Betrieb in Rheinfelden AG, nur 15 Minuten von Basel entfernt. Mittlerweile ist die Nachfrage nach Plätzen in der neuen Tagesschule mit integriertem Kindergarten laut der Schulleiterin Sabina Sümegi-Schärli stark gewachsen, sodass ab August bereits 30 bis 32 Kinder aufgenommen werden können. Die Kinder der neuen internationalen Schule in Rheinfelden stammen von Familien, in denen mindestens ein Elternteil aus dem angelsächsischen Raum oder aus anderen Ländern wie China oder Osteuropa stammt. Daneben gebe es aber auch Kinder aus lokalen Familien, in denen ein Elternteil in internationalen Unternehmen arbeitet und die Bedeutung der englischen Sprache als sehr hoch eingestuft wird. Zu guter Letzt absolvieren Kinder die internationale Schule, die an den öffentlichen Schulen aus Gründen wie zum Beispiel Unterforderung verhaltensauffällig geworden sind. Im Unterricht werden Charaktereigenschaften wie etwa Offenheit gegenüber anderem Denken und anderen Kulturen, analytisches Denken, eigenes Hinterfragen oder ein sozialer und respektvoller Umgang miteinander gefördert. Bewusst pflegt die IS Rheinfelden die Zusammenarbeit mit den öffentlichen Schulen und den Behörden. Der Unterricht findet mehrheitlich in englischer Sprache statt, mindestens zwei Stunden pro Tag sind jedoch den Fächern Deutsch und Französisch gewidmet. Diese sind auf das lokale Schulsystem abgestimmt, um den Schülerinnen und Schülern einen allfälligen Wechsel in die öffentliche Schule zu erleichtern, wie die Schulleiterin erklärt.

Steigende Nachfrage

Die Internationale Schule in Rheinfelden gehört zu den insgesamt 260 Mitgliedsschulen des Verbandes Schweizerischer Privatschulen (VSP) mit Sitz in Bern. Rund 100’000 Studierende und Schüler aus der Schweiz und aus über hundert verschiedenen Nationen besuchen hierzulande Privatschulen auf verschiedenen Stufen. Die Zahl der Schüler, die im Rahmen der Schulpflicht eine Privatschule besuchen, liegt mit 3,4 Prozent niedriger als in Deutschland. Im europäischen Vergleich besuchen weniger Schüler in der Schweiz eine Privatschule. Dies hängt sicherlich auch damit zusammen, dass das öffentliche Bildungssystem in der Schweiz grundsätzlich als ausreichend empfunden wird. Trotzdem ist laut VSP eine Zunahme an Schülern, die eine Privat- statt öffentliche Schule belegen, zu verzeichnen. An den Privatschulen finden die Eltern, was sie teilweise an öffentlichen Schulen vermissen: Erziehung zu Selbstständigkeit und Individualität, längeres gemeinsames Lernen, reformpädagogische Konzepte, längere Betreuungszeiten oder kleinere Klassen.

Beitrag zur Wirtschaftsförderung

«Die privaten Aus- und Weiterbildungsstätten erfüllen eine wichtige Ergänzungsfunktion zum staatlichen Bildungswesen, das unter der Hoheit der 26 Kantone steht», betont VSP-Generalsekretär Markus Fischer. Mit dem Aufkommen der Reformpädagogen wie Piaget, Steiner oder Waldorf Anfang des 20. Jahrhunderts habe auch die Erfolgsgeschichte der Privatschulen begonnen. Mit zunehmendem Wohlstand etablierten sich immer mehr Privatschulen in der Schweiz. Während in der Deutschschweiz viele Schweizer die Privatschulen besuchen, belegen in der Romandie mehrheitlich internationale Schülerschaften die Klassenzimmer, wie Markus Fischer  berichtet. Überall gelte jedoch: Die Privatschulen leisten einen wichtigen Beitrag zur regionalen und nationalen Wirtschaftsförderung. «Um internationale Firmen zu gewinnen, kommen wir um Privatschulen nicht herum, denn viele internationale Top-Manager wollen ihre Kinder im Sinne des angelsächsischen Bildungssystems ausbilden lassen. Für sie ist die Schweiz meist eine Zwischenstation.»

Nicht nur für wohlhabende Familien

Privatschulen richten sich an ein heterogenes Publikum. Dazu gehören nicht nur wohlhabende, bestens ausgebildete Familien, die sich solche Schulen leisten können. «Wir bewegen uns sozusagen an den Randbereichen, indem wir Kinder schulen, die an den öffentlichen Bildungseinrichtungen nicht die nötigen Angebote finden. Je nach Situation erhalten die Kinder an Privatschulen eine zweite Chance für ihren Bildungsweg», sagt Markus Fischer. Aus verschiedenen Gründen entscheiden sich Eltern für eine Privatschule: wenn das Kind beispielsweise aus Migrations-, körperlichen oder anderen Gründen grosse schulische Defizite aufweist und individuell unterstützt werden muss, wenn es sich in der jetzigen Klasse nicht mehr wohlfühlt oder auch wenn es unterfordert ist und besondere Begabungen besitzt. Viele Spitzensportler entscheiden sich für eine Privatschule, wo sie Schule und Training besser unter einen Hut bringen können als an einer öffentlichen Schule. An Privatschulen finden sie je nach Begabung musische, künstlerische oder sportliche Ausrichtungen. Manche Privatschulen bieten einen Ganztagesservice mit Verpflegung, Hausaufgabenhilfe und Freizeitangeboten. Dies kommt jenen Familien entgegen, wo beide Elternteile berufstätig sind.

Verschiedene Ausrichtungen

Bei der Auswahl einer Privatschule für ihr Kind werden die Eltern mit unterschiedlichen pädagogischen Orientierungen und Ausrichtungen konfrontiert. Die sogenannte Reformpädagogik spielt besonders im Rahmen der obligatorischen Schulzeit an manchen Privatschulen eine wichtige Rolle. Viele Privatschulen pflegen die pädagogischen Konzepte nach Steiner, Waldorf oder Montessori. Eine Schulbildung für Kopf, Herz und Hand ist diesen Bildungskonzepten gemein. Sind Waldorfschulen die Wegweiser der Bildungszukunft? Ausgangspunkt der Erziehung ist die Waldorfpädagogik nach Rudolf Steiner, bei der es weder Sitzenbleiben noch Noten gibt. Die Schule lässt den Kindern viel Platz für die freie Entfaltung. Die Pädagogik nach Maria Montessori gilt als das international am meisten verbreitete reformpädagogische Konzept. Es beruht auf der ganzheitlichen Beobachtung des Kindes, dessen Persönlichkeit und Entwicklung im Vordergrund steht. Einer grossen Nachfrage erfreuen sich konfessionelle Privatschulen. Im Gegensatz zu anderen Privatschulen erheben sie meist kein oder nur ein geringes Schulgeld und sorgen damit für mehr sozialen Ausgleich. Fördern statt überfordern, lautet das Motto von Privatschulen, die ihren Schwerpunkt in der Sonderpädagogik pflegen. Kleinere Gruppen und eine freiere Unterrichtsgestaltung öffnen Schülerinnen und Schülern mit Lernschwächen, Sprachbehinderungen oder Verhaltensauffälligkeiten neue Türen.

Talentförderung und Mehrsprachigkeit

Für Hochbegabte sind Privatschulen oft eine gute Alternative, weil sie die Hochbegabung der Kinder besser erkennen und fördern können. Nur wenn ihr Umfeld ihre Hochbegabung erkennt und fördert, sind solche Kinder zu besonderen Leistungen fähig. Zu guter Letzt setzen immer mehr Privatschulen in der Schweiz auf Mehrsprachigkeit und internationale Programme – passend zur Struktur im eigenen Land. Damit sollen unter anderem Top-Manager aus dem Ausland angesprochen werden. Viele Privatschulen bieten einen Schulbesuch sowohl für interne Schüler in Form eines Internates als auch für Tagesschüler an. Es gibt in der Schweiz Privatschulen für jede Alters- und Schulstufe – von der Vorschule bis zur Universität. Alle Privatschulen in der Schweiz unterliegen den kantonalen Schulgesetzen. Trotzdem erhalten die Eltern, deren Kinder eine Privatschule besuchen und dadurch die staatlichen Schulen entlasten, keine öffentlichen Zuschüsse bzw. eine Steuerreduktion. Dies kann den Besuch einer Privatschule in der Schweiz kostspielig machen. Die Preisspanne ist je nach Angebot und Schule gross, wie Markus Fischer orientiert. Eine internationale Tagesschule mit Verpflegung und Aufgabenhilfe beispielsweise koste in der Regel zwischen 10’000 und 15’000 Franken pro Jahr. Für Fünf-Sterne-Internatsschulen mit Vollservice, Einzelzimmer und gehobener Küche hingegen muss mit 70’000 bis 80’000 Franken und mehr pro Jahr gerechnet werden. Bedeutend günstiger seien dagegen Privatschulen mit reformpädagogischer Ausrichtung. Die Kosten dieser Schulen hängen meist vom individuellen Einkommen der Eltern ab und bewegen sich um die 6’000 Franken pro Jahr.

 «Die Eltern müssen sich engagieren»

Im Gespräch mit Markus Fischer, Generalsekretär des Verbandes Schweizerischer Privatschulen (VSP), über Auswahlkriterien, Qualitätslabels und Erfolgsquoten

Eltern, die für ihre Kinder nach der geeigneten Schule suchen, stehen oft unter einem gewissen Leidensdruck. Was sollten sie bei der Auswahl der Schule beachten?

Markus Fischer: Wer als Eltern eine passende Privatschule für sein Kind sucht, muss sich engagieren, informieren und Angebote miteinander vergleichen. Weiter sollten sie sich ernsthaft überlegen, was sie vom Besuch ihres Kindes an einer Privatschule erwarten. Die eine oder andere Privatschule ist auf die Initiative der Eltern angewiesen oder wünscht dies ausdrücklich. Der Austausch zwischen Lehrpersonen, Schülern und Eltern steht bei der Privatschule im Vordergrund. Neben der inhaltlichen Ausrichtung der Schule müssen aber auch Aspekte wie der Schulweg, die Infrastruktur und der Freundeskreis des Kindes berücksichtigt werden. Schliesslich runden die Erfahrungen von Freunden und Bekannten das Bild einer Schule ab.

Gibt es Qualitätszertifikate und Labels, die den Eltern die Auswahl erleichtern?

Ja, eine Privatschule sollte über Qualitätszertifikate wie zum Beispiel EFQM oder Q2 verfügen. Dies zeigt, dass die Schule einer strengen Qualitätskontrolle untersteht. Alle Mitgliedsschulen unseres Verbandes müssen sich mit einem markterprobten und national bzw. international anerkannten Qualitätssystem zertifizieren lassen. Um die professionelle Umsetzung der Qualitätskriterien sicherzustellen, hat der VSP-Vorstand die Kommmission für Qualitätssicherung eingesetzt. Diese Zertifikate ermöglichen es unseren Schulen zudem, sich proaktiv um staatliche Bildungsaufträge zu bewerben und für einzelne Bildungsgänge eine staatliche Anerkennung zu erhalten. In diesem Sinne wünschten wir uns mehr Kooperationsbereitschaft von staatlicher Seite, die uns vielerorts immer noch als unerwünschte Konkurrenz betrachtet.

Wie stehen die Erfolgschancen von Schülerinnen und Schülern, die eine Privatschule besucht haben, auf dem weiteren Bildungsweg?

Das ist schwer zu sagen, denn es gibt kaum Untersuchungen und Zahlen dazu – weder von privaten noch von öffentlichen Schulen. Selbstverständlich leistet der Abschluss an einer Privatschule einen Beitrag zum beruflichen Erfolg bzw. zum erfolgreichen Studium an einer Hochschule.

www.swiss-schools.ch

www.isrh.ch