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Kopfschmerzen – Wenn kleine Köpfe schmerzen

Wie Erwachsene können auch Kinder unter Kopfschmerzen oder Migräne leiden. Die Ursachen dafür können ganz vielfältig sein.

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«Mami, der Kopf tut sooo weh!» Kommt solch eine Schmerzmeldung auffallend häufig vor oder dauert die Schmerzempfindung länger als ein Tag, dann sollten Eltern sie ernst nehmen. Beruhigen Sie das Kind und beobachten Sie es gut, und nehmen Sie gleichzeitig Kontakt auf mit dem Kinderarzt. Auf keinen Fall sollte man in der Hausapotheke zum Schmerzmittel greifen, das einem vielleicht ab und zu gute Dienste leistet. Die Selbstmedikation, und sei es nur mit einer halben oder einer viertel Tablette, ist für ein Kind aus mehreren Gründen die falsche Therapie: Die Wahl eines Medikamentes ist Sache des Arztes, und die momentane Symptombekämpfung ist alles andere als eine echte Heilung. Darüber hinaus könnte das Kind dabei den Eindruck gewinnen, die sofortige Antwort auf Schmerz sei in jedem Fall eine Tablette. «Kinder dürfen nicht auf Kopfweh konditioniert werden, so dass sie schliesslich glauben, das Empfinden von Glück und Entspannung hänge zwingend mit der Einnahme von Medikamenten zusammen», präzisiert Dr. med. Marc Herz, Arzt für Kinder- und Jugendmedizin in Basel. Hilfreich sind dagegen all jene nicht medikamentösen Heim-Therapien, die entspannend wirken, dem Kind Zuwendung vermitteln und es erfahren lassen, dass man aus eigenem Antrieb dem Schmerz etwas entgegensetzen kann.

Ursachen

Nach einem Unfall oder einer Hirnerschütterung sind Kopfschmerzen meist leicht erklärbar, ebenso als Begleiterscheinungen bei fiebrigen Erkältungskrankheiten. Heftiger Husten kann manchmal ebenfalls Kopfschmerzen auslösen; ein ungeschützter Kinderkopf kann bei Kälte mit Druckschmerzen reagieren; ja selbst das Ablecken eines eben der Tiefkühltruhe entnommenen Glacestängels wird manchmal kurzfristig mit Kopfweh beantwortet.

Im übrigen sind die Ursachen vielfältig und abklärungsbedürftig:

  • Sinusitis (Entzündung der Nasennebenhöhlen) kommt nur bei grösseren Kindern vor. Bei kleinen Kindern sind die Stirn- und Kieferhöhlen noch nicht ausgebildet, und deshalb können in diesem Bereich auch keine Entzündung vorliegen
  • Blutdruckprobleme, von denen vereinzelt auch Kinder betroffen sein können
  • Verspannungszustände
  • Augenprobleme. Ursula Waltisperg, Orthoptistin/Augenspezialistin beim Basler Schulärztlichen Dienst, bestätigt, dass verdecktes Schielen Kopfschmerzen verursachen kann. Der Arzt Dr. Herz ordnet bei seinen Kopfweh-Patienten meist auch eine augenärztliche Untersuchung an, obwohl nach seiner Erfahrung ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Augenproblemen und Kopfschmerzen eher selten ist
  • Gehirntumor zum Glück tritt diese Ursache sehr selten auf

Ein besonderes Problem ist die frühkindliche Migräne, die im dritten oder vierten Lebensjahr aufkommen kann. Einseitiger Kopfschmerz, Erbrechen, eine ausgeprägte Lichtscheu und Lärmempfindlichkeit sind, so Dr. Herz, die typischen Migräne-Erscheinungen bei Kindern im Schulalter. Zur Therapie gehört die Durchleuchtung der Familiengeschichte: Wer leidet da auch unter Migräne oder welcher Verwandte hat je darunter gelitten? «Das Beschwerdebild Kopfschmerzen liegt nie nur auf der somatischen, sondern immer auch auf der psychosomatischen Ebene», stellt Dr. Herz fest. Und genau diese Ebene kann sich nach allen Seiten hin erstrecken: Familiäre Spannungen, ein zu grosser Erwartungsdruck der Eltern, ein Übermass an Aktivitäten, die möglicherweise verordnet und vom Kind gar nicht gewünscht werden, können genauso beteiligt sein wie Ängste, Minderwertigkeitsgefühle oder Schulschwierigkeiten. Unter Umständen will sich die verstummte und verletzte Seele über den Schmerz Gehör verschaffen.

Führen eines Kopfweh-Kalender

Ein ebenso billiger wie wirksamer Helfer ist der Kopfwehkalender, mit dem Dr. Marc Herz immer wieder sehr gute Erfahrungen macht. «Der Schmerz wird objektiviert, das heisst, man kann den Aufzeichnungen entnehmen, in welcher Regelmässigkeit, mit welcher Intensität und in welchem zeitlichen Zusammenhang die Schmerzen auftreten.» Schleicht sich bei einem Schulkind der Kopfschmerz häufig am späteren Sonntagnachmittag an, kann dieser Spannungskopfschmerz ein Zeichen sein, dass der Montag als Beginn der Schulwoche mit Angst erwartet wird. Genauso wie Wochenend-Kopfschmerzen bei Erwachsenen zuweilen auf Stress und Überforderung am Arbeitsplatz hinweisen können. Je nach Lebenssituation kann ein Kind auch Stress empfinden, weil die durch Trennung oder Scheidung der Eltern bedingten, wechselweisen Wochenendbesuche beim Vater oder der Mutter nicht richtig verkraftet werden.

Ein Faltblatt-Kopfwehkalender ist übersichtlich und leicht zu führen. Bei kleinen Kindern wird er von den Eltern ausgefüllt, grösseren Kindern kann es sogar Spass machen, selbst tätig zu werden. Dr. Herz: «Ich habe es schon erlebt, dass der Kopfwehkalender nach etwa vier Wochen zu einer Spontanheilung führte. Und in 50 oder noch mehr Prozent der Fälle kam es zu einer deutlichen Linderung der Beschwerden. Ein Schmerzkalender ist übrigens auch bei Bauchbeschwerden, bei Verstopfung oder Schlafstörungen hilfreich und er dient Kindern genauso wie Erwachsenen.» Das Realisieren von Schmerzverläufen scheint die Selbstheilungskräfte anzuregen.

Tonie Oester, die in Allschwil BL eine Gesundheitspraxis führt, pflegt den Eltern eines «Kopfweh-Kindes» die Situation mit einem Bild vor Augen zu führen. Es zeigt ein Holzfass, das am Überlaufen ist und will verdeutlichen: Ein sofortiger Abbau von Belastungen ist unumgänglich für den Heilungsprozess. Zu viel Fernsehen, zu viel Zucker oder Weissmehlprodukte, zu viel Konservierungs- und Farbstoffe in zu viel Fertignahrung, ein Allzuviel an Aktivitäten, Zusatzkursen und sonstigen Überreizungen können einem Kind in ihrer gefährlichen Häufung zusetzen. Grossen Wert legt Tonie Oester auch auf die Abklärung des Säure-Basen-Gleichgewichts im kindlichen Körper und auf die Darmsituation mit einem möglichen Pilzbefall, denn eine gezielte Entgiftung kann den gesamten Organismus entlasten und stärken. Das Kopfweh-Kind muss zu einem neuen Lebensstil geführt werden, mit beispielsweise einer umgestellten Ernährung, weniger Stress und mehr körperlicher Bewegung. Auf dass sich seine Kopfschmerzen verflüchtigen und es sich wieder zu einem unbeschwerten Kind wandelt.

Wege zur Heilung

Chinesische Medizin/Akupunktur – Nach etwa acht bis zehn Sitzungen sollte die Situation bei Spannungskopfschmerz deutlich besser werden. Dr. med. Marc Herz arbeitet mit extrem dünnen Nadeln, die aber von kleinen Kindern oft nicht akzeptiert werden. Ein Ersatz ist die Laserakupunktur, die jedoch nicht so effizient ist wie die Akupunktur mit Nadeln. Für grössere Kinder, die nach einer Behandlungsserie je nach Fall noch alle paar Wochen zur Akupunktur kommen, ist es ein echtes Erlebnis, dass eine Schmerzreduktion ohne Medikament herbeigeführt werden kann.

Hypnose – Die medizinische Hypnose, von dafür ausgebildeten Ärzten ausgeführt, hat nichts mit Willensbrechung zu tun. Dem von Kopfschmerzen oder Migräne geplagten Kind im Schulalter wird gelehrt, wie es das Bewusstsein im richtigen Augenblick in eine Situation zurückversetzen kann, die es als glücklich und völlig frei von Spannungen erlebt hat. Dr. Thomas Gysin, Arzt für Psychosomatische Medizin in Basel, erzählt als Beispiel von einem Jungen, der sich in Selbsthypnose in eine glückliche Situation auf dem Fussballplatz versetzen und so den Migräneanfall stoppen kann. Bei kleineren Kindern wird spielerisch vorgegegangen, so werden etwa Handpuppen eingesetzt.

Wassertherapie – Ein nur wenige Minuten dauerndes Fussbad in schwach lauwarmem Wasser wirkt entspannend, ebenso das sekundenschnelle Eintauchen der Arme bis zum Ellenbogen in kaltem Wasser. Bitte beachten: Das Kind muss vor der Behandlung gut warm haben. Nach der «Kur» wird das Wasser nur leicht abgestreift, eine anschliessende kurze Bettruhe verstärkt den Effekt.

Massage – Mag das Kind Berührungen, ist eine sanfte Massage des Rückens und der Wirbelsäule und anschliessend der Füsse hilfreich. Für die Massage kann reines Olivenöl oder auch wenig Mandelöl oder Lavendelöl verwendet werden.

Entspannungsübungen – Mit allen zehn Fingerbeeren unter die Haare greifen und mit leichten Bewegungen die Kopfhaut lockern. Mit dem Kopf Zwiesprache halten: «Gehts dir besser?» Das Gesicht bewusst entspannen und mit Daumen und Zeigefinger die Ohrmuscheln liebevoll kneten, massieren, beleben.
In eine kleine Flasche ein Tröpfchen Aromaöl geben, z.B. beruhigendes Lavendel- oder leicht anregendes Pfefferminzöl. Nun mehrmals den Duft mit einem fein hörbaren Geräusch durch die Nase einatmen und mit einem weichen «Sch» durch den Mund ausatmen. Das Ein- und Ausatmen in einem regelmässigen Rhythmus wiederholen.

Weitere Informationen:
Kopfweh-Telefon der Swiss Migraine Trust Foundation