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Hochbegabung – eine Gabe mit Vorbehalten

Hochbegabte Kinder gelten als Günstlinge des Schicksals. Ein weit verbreiteter Irrtum. Sie bezahlen ihre Begabung oft mit Langeweile im Schulzimmer, Isolation … und die Eltern mit viel Geld.

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«Wenn Richard so weiter macht, wird er kaum den Übertritt in die Sek B schaffen», meinte der Primarschullehrer. Richard könne sich nicht in den Klassenverband integrieren, er störe den Unterricht, sei überhaupt auffällig.

Richard schmiss nach dem Unterricht den Schulthek in die nächste Ecke, erzählt seine Mutter, Hausaufgaben erledigen war ihm ein Horror und jedes Mal ein Drama. Entsprechend waren seine Leistungen. Und das Schlimmste: Der Knabe war nicht nur demotiviert, sondern fühlte sich in der Schule rundum unwohl.

Doch so lange er sein Verhalten nicht ändere, sagte der Lehrer, so lange könne von besonderen Fördermassnahmen keine Rede sein.

Richard, 12 Jahre alt, hat einen IQ von 130, ist also, nach den heute geltenden Massstäben, hochbegabt. Wie auch seine jüngere Schwester Konstanze. Konstanze wurde zwei Jahre früher als normal eingeschult, was sie nicht daran hinderte, prompt eine der Klassenbesten zu werden. Dafür wurde sie von den Mitschülern gehänselt. Konstanze zog sich in sich zurück, verhielt sich aber sonst unauffällig ein typisches Verhalten für hochbegabte Mädchen weswegen die Schulleitung mit Fördermassnahmen zuwarten wollte. «Mein Sohn wurde in der Schule nicht gefördert, weil er auffällig war, meine Tochter wurde nicht gefördert, weil sie nicht auffällig war», beschreibt Frau B. die paradoxe Situation.

Doch was heisst hochbegabt?

Franz J. Mönks, ehemaliger Präsident der Europäischen Vereinigung für das hochbegabte Kind, schreibt dazu in seinem Klassiker «Unser Kind ist hochbegabt», wer «hohe intellektuelle Fähigkeiten, Kreativität und Motivation» besitze, sei hochbegabt. Ein allgemein anerkanntes Definitionsmerkmal für Hochbegabung ist ein hoher Intelligenzquotient (IQ) von 130 und mehr Punkten. Diese Kinder haben, so der Elternverein für hochbegabte Kinder, «ein herausragendes, kreatives, soziales oder sportliches Talent, sie beschäftigen sich mit anspruchsvollen Themen und lernen in der Regel extrem früh schreiben, lesen und rechnen.»

Hochintelligente Kinder sind gar nicht so selten, wie im allgemeinen gern angenommen wird. In Fachkreisen geht man davon aus, dass rund zehn Prozent der Schülerinnen und Schüler in einzelnen oder mehreren Bereichen über hohe Fähigkeiten verfügen, wobei man hier aber zwischen besonders begabten und den wirklich hochbegabten Kindern unterscheidet. Der Anteil an Hochbegabten wird auf rund zwei Prozent geschätzt.

Doch während lernschwache Schüler per Volksschulgesetz gratis gefördert werden müssen, bleibt es weitgehend der Eigeninitiative der einzelnen Schulen und vor allem den Eltern überlassen, überdurchschnittlich Begabten entsprechende Anregungen oder Förderprogramme anzubieten.

Dass die öffentliche Schule auch Hochbegabten gerecht werden muss, ist unter den Verantwortlichen unbestritten.

Fragt sich nur wie?

Sollen Hochbegabte separat in Spezialklassen unterrichtet oder in Normalklassen mit einem differenzierten und den individuellen Bedürfnissen angepassten Unterricht integriert werden?

Viele Psychologen befürworten eine begleitete Eingliederung der Hochbegabten in den normalen Schulbetrieb. Denn für die Entwicklung eines gesunden Selbstbewusstseins sei der Umgang mit allen anderen Kindern wichtig. Internationale Studien bestätigen zudem, dass in Schulen, die Begabte fördern, das Niveau sowie die Qualität des Unterrichts allgemein steigen. Davon profitieren alle Schülerinnen und Schüler.

Doch besondere Förderung von Hochbegabten innerhalb der Regelklassen erweist sich im Schulalltag als schwierig. Sparmassnahmen in unserem Bildungswesen, grössere Schulklassen und eine steigende Anzahl von kaum integrierten und ungenügend Deutsch sprechenden ausländischen Schülern lassen die Lehrerinnen und Lehrer am Limit laufen. Für eine Sonderbehandlung von Hochbegabten bleibt da wenig Zeit und Raum. Oft bekommen sie einfach mehr Aufgaben als der Rest der Klasse. Das ist, erzählt die Mutter von Richard und Konstanze, als ob sie noch mehr gelbe und grüne Erbsen auseinander dividieren müssten. Schlicht unbefriedigend.

Schulpolitiker haben das Defizit erkannt.

In einigen Kantonen, unter anderem in Bern, Graubünden, St. Gallen, Thurgau und Zürich, gibt es seit wenigen Jahren Förderprogramme. Zum Beispiel das Pilotprojekt Universikum, das 1997 in der Stadt Zürich lanciert, hochbegabten Volksschülern Wahlfachkurse anbietet. Das Angebot richtet sich «an die zwei Prozent der Schülerinnen und Schüler, welche trotz differenzierenden Massnahmen im Klassenverband zusätzliche Anregung brauchen.» Rund 500 Buben und Mädchen können dieses Angebot nutzen. Die Kurse sind für Zürcher Stadtkinder unentgeltlich, finden wöchentlich an einem Halbtag während der Unterrichtszeit statt oder in den Schulferien.

Eine Lösung, so die Mutter von Richard und Konstanze, die nur eine halbe ist. Am frustrierenden Schulalltag von hochbegabten Kindern ändere sich so nur wenig. Und: «Die Wartelisten fürs Universikum sind ellenlang». Im Kanton Zürich gibt es rund 2200 Hochbegabte.

Eine weitere Massnahme, die einer möglichen Unterforderung von hochbegabten Kindern entgegen wirken soll, ist die so genannte Akzeleration, das heisst das Überspringen einer oder mehrerer Schulklassen. Eine Massnahme, die in einzelnen Fällen durchaus Erfolge zeigt, aber auch ihre Tücken hat. Denn ein Unterschied von nur wenigen Jahren fällt in diesem Alter schwer ins Gewicht. Die Eingliederung in die Klasse wird so zusätzlich erschwert, die Kinder fühlen sich oft ausgeschlossen. Davon berichtet auch Konstanze. Jünger als der Klassendurchschnitt und trotzdem unter den Klassenbesten, wurde sie von ihren Klassenkameraden gemieden: «Ich durfte zum Beispiel oft nicht zusammen mit den anderen Kolleginnen in die Schule laufen.»

Ihre Mutter sagt dazu: «Wegen ihrer Hochbegabung mussten meine beiden Kinder manche schlechte Erfahrungen einstecken. Wir erlebten Neid und Missgunst nicht nur von den Mitschülern, sondern leider auch von deren Eltern und den Lehrern.»

Eine Lösung brachte der Familie B. die Privatschule Talenta. Richard und Konstanze haben hier eine Umgebung gefunden, in der ihre Hochbegabung in Kleinklassen individuell gefördert wird und in der sie sich wohl und aufgehoben fühlen. Richard habe, so seine Mutter, sein auffälliges Verhalten weitgehend aufgeben können. Er sei jetzt ausgeglichener, seine schulischen Leistungen seien gut und er habe endlich auch gute Freunde gefunden. «Ich gehe jetzt sehr gern in die Schule», erzählt Richard. «Wir arbeiten an interessanten Projekten, es macht Spass.» Und: «Hier wird keiner einfach ausgeschlossen.»

In einer normalen Schule wäre Richard mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Underachiever geworden, das heisst zu einem Schüler, dessen Leistungen nicht im weitesten dem entsprechen, wozu er wirklich fähig ist. Ein Schicksal, das er mit vielen betroffenen Kindern hätte teilen müssen. Denn hochbegabte Kinder, die nicht entsprechend gefördert werden, entwickeln sich nicht selten zu Schulverweigerern bis gar zu Schulversagern.

Richard und Konstanze hatten Glück. Ein Glück aber, das buchstäblich teuer bezahlt werden muss. Denn die Talenta kostet im Monat fast 2000 Franken pro Kind. Das sind Kosten, die beträchtliche Löcher in jedes Budget reissen und die nur gut betuchte Familien überhaupt aufbringen können. Auf Stipendien zu hoffen bringt meistens so viel wie Lotto zu spielen. So hofft Familie B., dass ihr Sohn Richard dieses Jahr die Prüfung auf ein normales Gymnasium schafft. Ein positives Ergebnis ist dabei lange nicht so vorprogrammiert, wie man bei einem hochbegabten Kind meinen möchte. Denn auch hochbegabte Kinder sind vor allem Kinder; sie stehen unter Leistungsdruck und leiden genauso unter Prüfungsängsten wie alle anderen auch. Hochbegabung allein ist kein Garant für Erfolg.

Anlaufstellen für Hochbegabte:

  • Talenta: Primarschule für hochbegabte Kinder, Zürich und Baseltalenta.ch
  • Basler Zentrum für Bildung (BZB): Primarschule und Gymnasium, Hochbegabte werden in Normalklassen integriertbzb.ch
  • Lernstudio Challenge: Primarschule (4. bis 6. Klasse) für Hochbegabte am Lernstudio Winterthurlernstudio.ch
  • LMS Lernen macht SpassPrivate Ganztagesschule für Hochbegabte in Luzernlms-schule.ch