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Generationen-Betriebe: Zwei junge Hoteliers, ihre Ziele und Herausforderungen

Reto Invernizzi hat vor einigen Jahren in sechster Generation den Gasthof Kemmeriboden-Bad von seinen Eltern übernommen – mit nur 26 Jahren. Fabienne Anthamatten führt als junge Chefin das Hotel Bella Vista in Zermatt, in dem sie quasi aufgewachsen ist. Im Doppelinterview sprechen die beiden jungen Hoteliers darüber, was es heisst, einen Familienbetrieb zu übernehmen und verraten, was sie anders machen als die Generationen vor ihnen.

Bild: © Kamil Macniak/Shutterstock.com

Sie sind beide in einer Hoteliers-Familie aufgewachsen, welche Kindheitserinnerungen haben Sie?
Reto Invernizzi: Ich durfte in unserem Betrieb noch die Endphase der Kurzeit erleben: Viele Gäste kamen damals jeweils zwei bis drei Mal im Jahr für drei bis vier Wochen. So kam es, dass ich viele Kurstammgäste als erweiterten Familienkreis betrachtete und irgendwie das Gefühl hatte, zehn Grossmütter und Grossväter zu haben – jedenfalls erhielten wir viele Geschenke zu Weihnachten. Es war für mich immer spannend, mit so vielen Erwachsenen zusammen sein zu dürfen. Manchmal hätten meine Schwester, mein Bruder und ich aber lieber im Wald etwas ausgeheckt, als täglich mehrfach die Stammgäste «begrüssen zu gehen». Wir hatten schon früh unsere täglichen kleinen Arbeiten im Betrieb, was gut so war. Als Jugendlicher wäre ich sonntags aber manchmal lieber ans Schwingfest gegangen, als am Buffet zu arbeiten.

Fabienne Anthamatten: Ich habe im Grossen und Ganzen gute Erinnerungen. Als Kind habe ich mich mit anderen jungen Gästen angefreundet und hatte einen guten Bezug zu Stammgästen. Wir haben zusammen gefrühstückt, sind gemeinsam Ski gefahren, haben Wanderungen unternommen. Meine Geschwister und ich waren motiviert, im Betrieb mitzuhelfen. Anfangs haben wir im Hotel gewohnt, was praktisch für unsere Eltern war, später sind wir ins Haus nebenan gezogen. Und da hatte ich als Jugendliche auch Phasen, in denen ich keinen Schritt ins Hotel gemacht habe – aber ich denke, das ist normal.

War für Sie klar, dass Sie in dieser Branche arbeiten möchten?
Reto Invernizzi: Für mich kamen viele Berufe mit kreativem Inhalt in Frage. Letztendlich habe ich mich für den Erstberuf Koch entschieden – was ich nie bereut habe. Danach habe ich Restaurationsfachmann gelernt, ehe ich dann die Hotelfachschule absolviert habe.
Fabienne Anthamatten: Ich wusste lange Zeit nicht, für welchen Beruf ich mich entscheiden sollte. Interessiert war ich immer an Sprachen und an Menschen, Tourismus faszinierte mich. So habe ich die Hotelfachschule absolviert und eine Ausbildung zur Skilehrerin gemacht. Nach mehreren Reisen war mir auch klar, dass ich in Zermatt leben möchte. Und während der Hotelfachschule ist mir bewusst geworden, dass ich eines Tages selbstständig sein will.

Weshalb haben Sie den Familienbetrieb übernommen?
Reto Invernizzi: Ich habe 18 Monate in der Gastronomie in Kanada gearbeitet, um mir zu überlegen, ob ich den Betrieb auch übernehmen würde, wenn es nicht der elterliche wäre. Und ich konnte im Ausland Erfahrungen sammeln. Zum Entscheid führte schliesslich das Betriebsprofil.
Fabienne Anthamatten: Mir ist unser Betrieb enorm ans Herz gewachsen. Hier kann ich mich verwirklichen. Ich trage eine grosse Verantwortung und habe zudem im Alltag sehr viele Freiheiten. Das kommt mir entgegen, weil ich es liebe, innovativ zu sein und etwas vorwärtszubringen. Nicht stehen bleiben und trotzdem authentisch sein, das ist mein Ziel.

Was waren zu Beginn die grössten Herausforderungen?
Reto Invernizzi: Es war wichtig, die Rollenverhältnisse zu klären. Mein Vater war zwar noch Familienoberhaupt, aber nicht mehr das Betriebsoberhaupt. Ich habe eine Diplomarbeit zum Thema «Erfolgreiche Nachfolge in Familienunternehmen» geschrieben, aufgrund derer konnten wir uns bereits im Vorfeld auf die Herausforderungen einstellen.

Fabienne Anthamatten: Meine ältere Schwester und ich sind 2009 in den Betrieb eingestiegen. Das Herausforderndste war, dass wir eine fliessende Übergabe machten: Meine Mutter war sehr froh über die Entlastung, konnte mehr und mehr Verantwortung abgeben. Mein Vater hingegen hatte grosse Mühe. Er war zwar froh, dass die Nachfolge geregelt war, andererseits hatten wir ihm sein Baby weggenommen. So konnten wir ihm kein abruptes Ende antun. Es war wirklich eine schwierige Zeit. Und wenn ich nicht so überzeugt gewesen wäre, dass dieser Betrieb das ist, was ich weiterführen will, hätte ich die Flinte ins Korn geworfen. Danach kam hinzu, dass meine Schwester und ich gemeinsam das Hotel führten, das funktionierte aber nicht. 2014 entschied ich mich schweren Herzens und dem Frieden innerhalb der Familie zuliebe, den Betrieb zu verlassen. Zweieinhalb Jahre später, nach interessanten Projekten im Bereich des Conciergeservices, Relocation und als Skilehrerin, realisierte ich, dass mir der Betrieb fehlte. Im Gespräch mit meiner Schwester kristallisierte sich heraus, dass eine Übernahme meinerseits auch für sie eine Genugtuung wäre. Somit haben wir eine optimale Lösung für alle gefunden. Zwar nicht auf Anhieb, aber lieber spät als nie.

Sie waren beide sehr jung, als Sie Chef, Chefin wurden. War es schwierig für Sie, sich zu behaupten?
Reto Invernizzi: Es war für mich wichtig, dass ich vor dem Eintritt meine eigene Laufbahn ausserhalb des Betriebs gehabt hatte. Trotz meines jungen Alters konnte ich also eigene Erfahrungen mitbringen. Selbstverständlich prüfen Mitarbeitende die Qualifikationen eines Nachfolgers. Und klar wird es immer Verschiebungen geben, wenn es Neuerungen gibt. Ganz nach dem Zitat «Wenn der Wind der Erneuerung weht, bauen die einen Mitarbeiter Mauern und die anderen Windmühlen».
Fabienne Anthamatten: Ich empfand mein Alter nie als Schwierigkeit, der Respekt war stets da.

Was haben Sie geändert im Betrieb?
Reto Invernizzi: Zuerst einmal ist es sehr wichtig, dass Respekt gegenüber der Geschichte und Arbeit der vorherigen Generationen da ist. Unser Betrieb ist ein Kulturerbe. Ebenso wichtig ist, den Betrieb kritisch zu prüfen und zu evaluieren, wo man Anpassungen vornehmen kann, wo blinde Flecken sind. So haben wir vieles erhalten, aber auch vieles verändert. Hinzu kommen gesellschaftliche und technologische Entwicklungen, wir haben zum Beispiel Geschäftsbereiche, welche auf eine leistungsstarke EDV angewiesen waren, zuerst ausgebaut.
Fabienne Anthamatten: Das Hotel ist zu einem «3 Sterne Superior»­Haus geworden, nicht zuletzt wegen des Wellnessbereiches und wegen Renovationen, die wir gemacht haben. Was ich anders mache als die Generationen vor mir: Ich nehme mir frei! Jede Woche, egal, ob in der Hoch­ oder Nebensaison. Durch die Freitage sehe ich viele Angelegenheiten objektiver, lerne andere Gastrobetriebe kennen und bin zu einem grossen Teil gefeit vor Saisonübermüdung.

Was hebt Ihr Hotel von anderen Hotels ab?
Reto Invernizzi: Diese Frage sollten Sie unseren Gästen stellen.
Fabienne Anthamatten: Sicherlich unsere Lage mit dem einmaligen Blick aufs Matterhorn, die hausgemachten Spezialitäten, das hausgemachte Frühstück, der grosszügige Wellnessbereich und die persönliche Führung.

Zum Schluss: Haben Sie Kinder, von denen Sie sich wünschen würden, dass sie den Betrieb dereinst übernehmen?
Reto Invernizzi: Wir haben zwei Töchter, diese sind aber noch zu jung, um über eine Nachfolge zu reden. Aber es kommt vor, dass die beiden ab und zu zum Grüssen von Stammgästen erscheinen müssen (lacht).
Fabienne Anthamatten: Mein Mann und ich haben noch keine Kinder. Und da ich erst vor einem Jahr definitiv übernommen habe, habe ich mir noch keine Gedanken über die Nachfolge gemacht. Aber auch hier wird es eine passende Lösung geben, ob in der Familie oder nicht: Hauptsache, es passt.

Hotel Bella Vista: Das Matterhorn im Blick

Das Hotel Bella Vista wurde 1962 von Fabienne Anthamattens Grosseltern erbaut. Der Name ist nicht zufällig gewählt: Von den meisten der 21 Zimmer und vom Wellnessbereich aus ist das Matterhorn zu sehen. Bekannt ist das Hotel zudem für das hausgemachte Frühstück. 1979 haben die Eltern von Fabienne Anthamatten, in zweiter Generation, den Betrieb übernommen. Das Haus wurde mehrfach renoviert und vergrössert. Heute ist das Bella Vista ein «Drei Sterne Superior»­Hotel. Zum Wellnessbereich gehören Sauna, Infrarotsauna, Dampfbad, Whirlpools, Ruheraum und Kneippbecken.

www.bellavista-zermatt.ch

Im Iglu und auf dem Heuboden: Das Kemmeriboden-Bad im Emmental

Im Jahr 1834 gegründet, bietet der Landgasthof Kemmeriboden­-Bad heute 30 Zimmer, darunter spezielle Designunterkünfte. Das «Höibühnizimmer» ist beispielsweise das grösste Hotelzimmer im Emmental – es ist auf einem Heuboden eingerichtet, mit Doppelbett und Doppelbadewanne. Jeweils im Winter können Gäste auch in fünf Romantik-­Iglus übernachten. Zum Landgasthof gehören zudem ein Hotpot, eine Sauna und eine Dampfdusche. Das Haus hat eine lange Geschichte: Weil es bei einer Mineralquelle liegt, wurde es als Badehäuslein mit Wirtshaus eröffnet. 1841 kaufte der Ururururgrossvater von Reto Invernizzi, heutiger Chef, den Kemmeriboden. Das Haus wurde nach und nach erweitert, der Badebetrieb 1988 aber eingestellt und stattdessen in den Seminarmarkt investiert. Heute stehen alle Gebäude unter Heimatschutz.

www.kemmeriboden.ch