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Die Kratz-Kinder

Neurodermitis gehört zu den häufigsten chronischen Erkrankungen von Kindern Tendenz zunehmend. Zum Glück gibt es wirksame Therapien.

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Wie ein Pfirsich fühlt sich die Haut eines Kleinkindes an: glatt, prall und samtig. Nicht aber diejenige der dreijährigen Catharina. Fast am ganzen Körper quälen sie juckende Hautausschläge, die sie vor allem nachts oft blutig kratzt. Catharina ist kein Einzelfall. Neurodermitis ist die häufigste chronische Krankheit im Kleinkindalter. 10 bis 15 Prozent aller Mädchen und Buben unter fünf Jahren sind davon betroffen. Und bei 60 Prozent beginnen die Entzündungen vor dem ersten Geburtstag. «Catharina hat ihre ersten Ekzeme mit sechseinhalb Monaten bekommen, und zwar hauptsächlich im Gesicht», sagt ihre Mutter. Der Kinderarzt, den sie darauf konsultierte, stellte die Diagnose Neurodermitis. Leider verschlechterte sich die Haut von Catharina sehr schnell trotz der Behandlung mit speziellen rückfettenden Cremen und Antihistaminika gegen den Juckreiz. «Vor allem die Nächte waren einfach grauenhaft», erinnert sich die Mutter. Im Ruhezustand wird nämlich der Juckreiz geradezu unerträglich. «Catharina hat nächtelang durchgeschrien, und wenn ich ihre Ärmchen nicht festgehalten habe, hat sie sich so sehr gekratzt, bis die Haut entzündet war.»

Neue Hoffnung ohne Cortison

Ihr einziger Trost: Neurodermitis tritt schubweise auf und so gibt es zwischendurch immer wieder mal eine «Juck-Pause». Allerdings hält diese meist nicht lange genug an, um die rote, schuppende und teilweise entzündete Haut zu heilen. In schlimmen Fällen muss denn auch auf eine kortisonhaltige Salbe zurückgegriffen werden. Das Kortison hat allerdings Nebenwirkungen und darf deshalb nicht über längere Zeit angewendet werden. Neue Hoffnung setzen Ärzte und Betroffene auf den Wirkstoff Tacrolimus («Protopic» von Fujisawa), der fast ebenso wirksam sein soll wie Cortison, aber über eine längere Zeitdauer angewendet werden darf. Grossangelegte Studien haben ergeben, dass bei mehr als 80 Prozent der Patienten Juckreiz, Trockenheit und Ausschlag deutlich abnahmen. Gravierende Nebenwirkungen wurden bisher keine festgestellt.

Die Ursache für die Neurodermitis ist trotz jahrzehntelanger Forschung unklar. Durch einen Defekt im Immunsystem entzündet sich die Haut und reagiert, als ob harmlose Stoffe wie Tierhaare, Pollen oder Seife Krankheitserreger wären, die bekämpft werden müssen. Die so genannte Atopie, also die Veranlagung, auf bestimmte Stoffe übermässig zu reagieren, ist vererbbar. Wenn beide Elternteile vorbelastet sind, beträgt die Wahrscheinlichkeit, dass ihr Kind von Neurodermitis betroffen sein wird, 50 Prozent. Ist nur ein Elternteil vorbelastet, erkranken 25-30 Prozent ihrer Kinder an Neurodermitis.

Typisch für Neurodermitiker ist ausserdem eine schlechte Feuchtigkeitsspeicherung, weshalb die Haut extrem trocken ist. Die richtige Hautpflege, sprich wenig baden und viel eincremen, ist deshalb das A und O bei der Behandlung von Neurodermitis. Der Kinderarzt kann speziell hautschonende und rückfettende Cremes und Badeöle verschreiben, die regelmässig angewandt werden müssen. «Ich creme Catharina zweimal täglich von Kopf bis Fuss mit einer so genannten Basissalbe ein. Das befeuchtet die trockene Haut und mindert den Juckreiz manchmal», erklärt die Mutter. Der Hautkontakt ist aber nicht nur für den Körper, sondern auch fürs psychische Wohlbefinden von so genannten Kratz-Kindern sehr wichtig. Sie sollen nämlich spüren, dass die Haut auch andere, positivere Signale auslösen kann als nur Schmerzen und Juckreiz. Kinderärzte empfehlen denn auch den Eltern, ab und zu mit den Kindern zu baden oder sich zum Beispiel gegenseitig die Haare zu bürsten, um sich nicht immer bloss auf die kranke Haut und deren Pflege zu fixieren.

Wundermittel für die Behandlung von Neurodermitis gibt es keine. Geduld ist gefragt. Trotzdem setzen viele Eltern, wenn die Schulmedizin versagt oder nicht genügend wirksam ist, auf alternative Methoden. Die Behandlung mit Schwarzkümmelöl sowie Homöopathie und Akupunktur haben sich nachweislich bewährt; Bioresonanztherapie, Kinesiologie und andere alternative Therapien weniger. Nach wie vor ist es deshalb wichtig, dass man Auslöser von Neurodermitis-Schüben bestimmte Nahrungsmittel, aber auch Tierhaare, Waschpulver, Wolle, Konservierungsmittel oder Blütenpollen konsequent meidet. Und schliesslich bleibt immer noch die Hoffnung, dass die Krankheit mit zunehmendem Alter endgültig abheilt, was bei etwa zwei Drittel der Kinder der Fall ist.

Interview mit Dr. Marina Osterwalder  

Woran erkennt man Neurodermitis?

Dr. Marina Osterwalder: Es handelt sich um ein grosses Spektrum, das von kleinen Flecken über Hautausschläge bis zu grossflächigen Entzündungen reicht. Beim Kleinkind sind Gesicht und Streckseiten der Arme und Beine befallen, beim älteren Kind treten die Hautveränderungen vor allem in Armbeugen und Kniekehlen auf.

Welches sind die häufigsten Auslöser?

Oft sind Allergien verantwortlich, vor allem gegen Pollen, Tierhaare, Hausstaub und gewisse Nahrungsmittel. Bei den Nahrungsmitteln sind hauptsächlich Kuhmilch, Eier, Nüsse, Weizen und Fisch zu erwähnen. Psychische Belastungen und Stressfaktoren können eine Neurodermitis verstärken. Sehr oft kennt man den Auslöser jedoch nicht.

Welches sind die klassischen Behandlungsmethoden?

Die Kinder sollten hauptsächlich Baumwolle tragen. Wolle und Synthetikgewebe sollen nicht direkt auf die Haut kommen. Stark parfümierte Seifen und Waschmittel sowie Weichspüler dürfen nicht verwendet werden. Im weiteren können Klimaveränderungen helfen, z.B. Ferien am Meer. Bei Hausstaubmilbenallergien helfen Aufenthalte in den Bergen, d.h. über 1200 m Höhe.

Ganz wichtig aber ist eine sorgfältige Hautpflege. Sie ist die Grundlage der Therapie! Beim Baden soll man ein Ölbad statt Seife nehmen. Ausserdem wirken kühlere Wassertemperaturen juckreizstillend. Falls die Hautausschläge trotz konsequenter Hautpflege sehr ausgeprägt sind und der Juckreiz für die Kinder unerträglich wird, müssen kurzzeitig schwache Kortisonsalben angewendet werden. Seit kurzem sind kortisonfreie, entzündungshemmende Salben auf dem Markt, die auch bei einer schweren Neurodermitis helfen. Auf jeden Fall ist es empfehlenswert, eine Allergieabklärung durchführen zu lassen.

Gibt es auch alternative Therapien?

Es werden viele verschiedene alternative Therapieformen angewendet, z.B. Homöopathie, die allerdings sehr viel Geduld braucht.

Können Erwachsene Neurodermitis bekommen?

Ja, aber längst nicht so häufig wie Kinder.

Gibt es auch leichte Fälle von Neurodermitis?

Eine Neurodermitis kann sehr unterschiedlich verlaufen: Es können wenige kleine Hautstellen befallen sein, es kann sich aber auch um eine schwerwiegende Hautkrankheit handeln. Leider ist die medizinische Therapie wie erwähnt oft unbefriedigend. Sie dient nur der Symptombekämpfung, nach Abschluss der Therapie tritt die Erkrankung oft von neuem auf. Die Kinder müssen lernen, damit zu leben.

Zur Person:

Marina Osterwalder ist Kinderärztin mit eigener Praxis in Zürich. Sie behandelt schulmedizinisch, ist aber offen für die Zusammenarbeit mit komplementärmedizinisch tätigen Ärzten.

Mehr Infos:

ahaswiss.ch

aha! ist das Schweizerische Zentrum für Allergie, Haut und Asthma in Basel. Es bietet dreimal jährlich in Basel, Bern, Zürich, Luzern und Schaffhausen eine Neurodermitis-Elternschulung an.

neurodermitis.ch

ist die Site eines Betroffenen mit Diskussionsforum und vielen Infos.